P.M. History 2017-06

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Europas größtes Monatsmagazin für Geschichte

Deutschland 5,50 €

06/2017

THOMAS A. EDISON

CHARLES DARWIN

MARIE CURIE

1850–1900

Revolution des

WISSENS

Wie der Rausch des Fortschritts schon einmal die Welt veränderte ANGKOR

ANMUT

ANGRIFF

Ein chinesischer Reisender beschreibt das Luxusleben in

Hobby-Gärtner gab es schon in der Antike: in den grünen Oasen der Griechen, Römer und Ägypter

1945: Franzosen erobern SüdwestDeutschland. Ein selten erzähltes Kapitel des Krieges

alten Khmer Österreich

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Editorial

Historische

Ereignisse

,

TITEL: WIESLAW SMETEK UNTER VERWENDUNG FOLGENDER FOTOS: POPPERFOTO/GETTY IMAGES, BPK, BRIDGEMAN IMAGES, ADOC-PHOTOS/BPK, GETTY IMAGES; FOTOS DIESE SEITE: ENVER HIRSCH, INTERFOTO

die unsere Welt noch heute prägen

LIEBE LESERIN, LIEBER LESER,

Jens Schröder, Redaktionsleiter P.M. HISTORY

Kriegsende: Französische Truppen dringen über den Rhein ins Badische vor

so viel Neuland war nie! Eine Revolution der Erkenntnis roll te in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch Europa und die USA. Überall stießen die Forscher vor in bislang völ lig unbekannte Gebiete, entzauberten die verklärte Natur als ein System mit Ursache und Wirkung, zähmten die Elektri zität, besiegten tödliche Seuchen, die die Menschheit über Jahrhunderte geplagt hatten. Und machten Erfindungen, die unseren Alltag noch heute prägen – etwa die damals noch geheimnisvolle Röntgenstrahlung oder die ersten funktions tüchtigen Flugapparate. Charles Darwin und Alfred Wege ner, Marie Curie, Robert Koch und Thomas Alva Edison – die sen und weiteren Genies und ihren unfassbaren Geschichten ist der Schwerpunkt dieser Ausgabe gewidmet. Und auch der Frage: Wie kam es dazu, dass sich das Wissen der Menschheit um die Rätsel der Natur so rasant vervielfachen konnte? Und noch ein weiteres Thema möchte ich Ihnen in diesem Monat besonders ans Herz legen: Der Artikel unseres Autors Jochen Metzger über die Eroberung Südwestdeutsch lands durch französische Truppen 1945 behandelt einige relativ selten erzählte Ereignisse aus den letzten Wo chen des Zweiten Weltkriegs. Es ist eine dieser Geschichten, bei der wir in der Redaktion abwägen müssen, ob wir uns nämlich von jenen notorischen Schuldrelativierern und Auf rechnern, die immer nach Beispielen suchen, in denen auch der deutschen Bevölkerung Leid angetan wurde. Aber wir finden: Auch diese Kapitel der Weltkriegsgeschichte müssen erzählt werden. Und weil wir mit Jochen Metzger einen Au tor gefunden haben, der dazu in seinem eigenen Heimatdorf recherchieren konnte, erzählen wir sie genau jetzt. Schreiben Sie uns gern, wie Ihnen diese Ausgabe gefallen hat: [email protected]! Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen und gute Erkenntnisse! Herzlich, Ihr

P.M. HISTORY – JUNI 2017

3

56

JUNI 2017

66 28 44

36

48 Chronologie

4

1600 v. Chr.

1113

1333

Himmelsscheibe von Nebra wird vergraben

Bau der Tempelanlage Angkor Wat

Ibn Battuta reist durch Indien

Seite 24

Seite 14

Seite 86

P.M. HISTORY – JUNI 2017

Inhalt 6

Arena Bocairent, Griechin, Japanische Winde, Turiner Grabtuch, Eiszeit in Deutschland. Plakativ: Bahnreisen. Plus: Tipps der Redaktion

14

Reise ins Reich der Barbaren

FOTOS: SAMMLUNG RAUCH/INTERFOTO, BRIDGEMAN IMAGES (2), GETTY IMAGES, INTERFOTO, MARY EVANS/NATURAL HISTORY MUSEUM/INTERFOTO (2), ULLSTEIN BILD

Ein Chinese besucht den pompösen Königshof von Angkor

24

Meisterwerk: Himmelsscheibe von Nebra Ein Bild vom Firmament – gefertigt in Europas Bronzezeit

PIONIERE DER WISSENSCHAFT

26

Die Epoche der Genies

14

Wie das Wissen im 19. Jahrhundert explodiert

28

Der Wettstreit der Mediziner Robert Koch und Louis Pasteur

36

Neuland am Meeresgrund Vermessung der Ozeane durch das Forschungsschiff „Challenger“

44

… und sie bewegen sich doch! Alfred Wegener entdeckt die Kontinentalplatten

48

Darwin, Mendel und Co. Porträts fünf berühmter Naturforscher

56

RUBRIKEN

Kampf gegen die Bakterien

Mysteriöse Strahlen

3

EDITORIAL

74

BÜCHER ZUM TITELTHEMA

94

RÄTSEL

95

LESERBRIEFE & SERVICE

96

VORSCHAU & IMPRESSUM

98

SPRENGSATZ

Tragik und Genie im Leben der großen Marie Curie

66

Die Neuerfindung der Welt Sieben geniale Innovationen, die unseren Alltag revolutioniert haben

76

Kaiserliches Schmachten Briefwechsel von Napoléon Bonaparte und Joséphine de Beauharnais

78

Kriegsende im Südwesten

78

Die Besetzung von Baden und Württemberg durch Frankreich

86

Zeitmaschine: Ibn Battuta Der Reisende wird in Indien Zeuge einer Witwenverbrennung

88

Antike Gärten Auch Ägypter, Griechen und Römer liebten ihre grünen Oasen

1831

1882

1945

Darwin segelt auf der „Beagle“ um die Welt

Robert Koch entdeckt Tuberkulose-Erreger

Besetzung von Baden und Württemberg

Seite 48

Seite 28

Seite 78

P.M. HISTORY – JUNI 2017

5

Arena

6

P.M. HISTORY – JUNI 2017

MAGISCHE ORTE

Bocairent VON AUSSEN SEHEN DIE QUADRATISCHEN LÖCHER im „Monte de los Cal varios“ wie ein bizarres, unheimliches Muster aus. Der „Berg der Qual“ liegt in der Nähe der spanischen Stadt Bocairent (Region Valencia), und er birgt ein Rätsel: die mysteriösen „Covetes dels Moros“, die „Höhlen der SPANIEN Mauren“. Über vier Etagen verteilen sich 53 in den Stein gehauene Kammern. In den Höhlen ist es am Tag überraschend hell: Sonnenstrahlen, die durch die Eingänge scheinen, tauchen die steinernen Wände der Kammern in warmes Licht. Sie wurden im 10. oder 11. Jahrhundert in den Fels gehauen. Als Kornspeicher Bocairent und in Notzeiten als Zufluchtsort dienten sie wohl. Wer sich die Mühe gemacht hat, die Höhlen in den Berg zu schlagen, bleibt für Historiker bislang ein Rätsel.

Arena

SCHMUCK Ihren Reichtum zeigte die Griechin mit Schmuck aus Gold. Der war dünnen Drähten und ziert. Mit kostbaren Fibeln hielt sie ihr Ge wand auf der Schulter zusammen. Anders als wir trug sie Armreifen nicht ums Handge lenk, sondern um den Oberarm.

FRISUR Die modebe wusste Griechin trug ihre Haare hochgesteckt und hielt ihre Frisur mit brei oder geknoteten Tüchern zusammen. Schwarz war zwar die häufigste Haar farbe, doch Blond galt als besonders schön. Es war schließlich die Haarfarbe der Liebesgöttin Aphro dite. Viele Griechinnen versuchten deshalb, der Natur mit Bleichmittel nachzuhelfen.

AUS DER MODE

Die Griechin in der Antike Hauptsache teuer: Für Schmuck, bun te Gewänder und die richtige Haar bewusste Griechin schon damals gern viel Geld aus

8

P.M. HISTORY – JUNI 2017

bauscht aussieht, ist in Wirklichkeit nur ein riesi ges Viereck aus Stoff. Der obere Teil wurde umge schlagen und hing bis zur Taille herunter. Ein Gürtel raffte das Unterteil hoch, damit der verzierte Saum nicht über den Boden schliff. Der seitliche Saum konnte auch zugenäht werden. Dann ließ sich der Peplos nicht wickeln und musste über den Kopf gestreift werden.

PURPUR Wer etwas auf sich hielt, trug Kleidung in der Farbe Purpur. Die aus der Purpurschnecke (Murex) gewonnenen ersten der Antike. Für ein Gramm des beliebten Farbstoffs mussten rund 10000 Purpurschnecken ihre Hypobranchialdrüsen lassen. Sie wurden in Salz eingelegt und anschlie ßend in Urin aufgekocht.

FOTO VORHERIGE SEITE: JOSE A. BERNAT BACETE/GETTY IMAGES; FOTOS DIESE SEITE: ADOC-PHOTOS/BPK, INTERFOTO; ILLUSTRATION: MICHAEL STACH

PEPLOS Was am Körper

1274/1281

Japan

Kamikaze gegen Kublai Khan HERRSCHER DER MONGOLEN Im 13. Jahrhundert regiert Kublai Khan, Enkel des legendären Dschingis Khan, ein gigantisches Reich: Es überspannt weite Teile Asiens und erstreckt sich bis nach Mitteleuropa. Doch das ist dem Enkel – ganz der Alte – nicht genug. Sein Blick geht übers Meer: nach Japan. Die Eroberung des kleinen Inselreichs scheint ausgemachte Sache zu sein. Im Jahr 1274 befehligt Kublai Khan eine Flotte aus fast 1000 Schiffen. Es sind hochseetaugliche chinesische Dschunken, aber auch koreanische Flachschiffe, die über all anlanden können. Keine japanische Verteidigung, und sei sie auch noch so tapfer, wird sich gegen diese Invasion behaupten können. Wenn nicht ein Wunder geschieht, wird Japan bald zum Reich des Kublai Khan gehören. Doch die Natur ist größer als der Mensch und seine Pläne. Der Mongolenführer wird Japan niemals einneh men. Überhaupt wird das Inselreich bis ins 20. Jahrhun dert von Invasoren verschont bleiben. Denn offenbar lichen Winde“. Man nennt sie „Kamikaze“. Als die Mongolen die japanische Insel Kyushu ein nehmen, verläuft noch alles nach Plan. Die Verteidiger müssen sich ins Landesinnere zurückziehen. Doch am

Morgen des 20. November 1274 zieht ein Taifun auf. Nichts und niemand hält ihm stand. Er zerschmettert die mongolische Flotte und tötet alle Soldaten, die sich auf den Schiffen befinden. Eine Schmach für den sonst so siegreichen Kublai Khan, die er nicht verwinden kann. Sieben Jahre später entsendet er eine noch weit grö ßere Streitmacht übers Meer. Im Jahr 1281 segeln an die 4500 Schiffe Richtung Japan. Diesmal muss es klappen! Doch dann kommt der 15. August 1281. Die Schiffe der Mongolen durchqueren die Meerenge von Tsushima. Er neut braut sich am Himmel etwas zusammen, ein Taifun biblischen Ausmaßes. Er hält zwei Tage lang an. Als das Meer sich wieder glättet, ist es von Planken übersät. Nur standen. Wer von den Seeleuten noch lebt, wird von den Japanern an Land gezogen und niedergemetzelt. derer Eroberer seine Hände nach Japan ausgestreckt. Bis zum Zweiten Weltkrieg hält sich das Inselreich für unver wundbar. Als die Eroberung durch die Amerikaner droht, stürzen sich Kampfpiloten taifungleich vom Himmel auf ihre Feinde. Man tauft sie „Kamikaze“. Doch diesmal wird die Eroberung nicht aufgehalten. Katharina Jakob

DE RW AH RE

Das Turiner Grabtuch

Stoff mit Heiland?

KER N

WAS SAGT DIE LEGENDE?

WIE WURDE SIE ÜBERLIEFERT?

WAS IST WIRKLICH DRAN?

Auf dem rund 4,40 Meter langen und 1,10 Meter breiten Leinentuch mit Blut spuren zeichnen sich das Antlitz und der nackte Körper eines Men schen ab – und dieser Mensch sei Je sus Christus. Nach seiner Kreuzigung soll er darin eingewickelt und begra ben worden sein. Über verschlunge ne Wege sei das Tuch nach Edessa gelangt, ins heutige Urfa (Türkei), dort in der Stadtmauer eingemauert gewesen, im Jahr 531 wieder zum Vorschein gekommen. Stationen: Konstantinopel, Frankreich, Turin.

Erstmals wird das Turiner

heit schon bald angezweifelt. Im

Das Tuch wurde so oft mit verschie denen Methoden untersucht – es ist erstaunlich, dass überhaupt noch so

des Tuchs als Reliquie dann einen regelrechten Hype. Von der katholi schen Kirche selbst wird es übrigens lediglich als Ikone eingestuft. Die ers te Fotografie 1898 hat einen unerwar teten Nebeneffekt: Das Negativ zeigt den Körperumriss viel deutlicher als der Blick aufs reale Tuch. Drei Brände hat das Turiner Grabtuch überstan den, das allein ist fast ein Wunder.

deutig: Das Grabtuch wurde erst im Mittelalter angefertigt. Trotzdem gibt es nach wie vor Stimmen, die an sei ner Echtheit festhalten. Tatsächlich ist weiter ungeklärt, ob es sich zumin dest um einen echten Körperabdruck handelt (und wie dieser dann genom men wurde) oder ob es ein Gemälde ist und von wem. Thomas Röbke

Grabtuch

P.M. HISTORY – JUNI 2017

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Arena ÜBERRESTE In den Eiszeiten prägten Gletscher Europas Landschaft

UND JETZT?

Leeres Deutschland Während der letzten Eiszeit war Europa dünn besiedelt, in Deutschland gab es sogar 3000 Jahre lang gar keine Menschen. Dabei war die Gegend durchaus bewohnbar – aber die Natur schnitt den Nomaden den Weg ab or 25 000 Jahren war Europa ein unwirtlicher Ort. Die letzte Eiszeit erreichte ihr Kälte-Maximum, weite Teile des Kontinents waren vergletschert. Wenige Jäger und Sammler lebten auf dem kalten Land. Ein Zusammenschluss aus Archäologen und Geografen konnte jetzt nachweisen: Das heutige Deutschland blieb 3000 Jahre lang völlig men schenleer – obwohl es genau zwischen zwei Gruppen lag.

V

Frau Schmidt, wie lässt sich überhaupt feststellen, wie dicht ein Kontinent vor so langer Zeit besiedelt war? Die Bevölkerungsentwicklung so früher Zeiten zu untersu chen ist kompliziert, wir haben keine Aufzeichnungen, die wir einfach auswerten könnten. Daher haben wir verschie dene Disziplinen zusammengeführt: Zunächst wurden archäologische Funde, etwa Lagerstätten, analysiert und bestimmten Zeitphasen zugeordnet. Dazu haben wir Klima datensätze genutzt, um das Klima in verschiedenen Phasen des eiszeitlichen Maximums zu modellieren. Vergleicht man Klimadaten und Funde, dann sieht man, dass verschiedene Gruppen unterschiedliche Bedingungen bevorzugten, sich jeweils nur in klimatisch begrenzten Regionen aufhielten. Was haben die Modelle Ihnen verraten? In dieser Zeit lebten nach unserer Analyse zwischen 1400 und 3600 Menschen im westlichen Teil Europas, also in

Isabell Schmidt forscht und arbeitet am Institut für Prähistorische Archäologie an

Frankreich, Spanien und Portugal. Die Jäger und Sammler dort präferierten milde und feuchte Bedingungen, siedelten auch in bewaldeten Gebieten. Im östlichen Europa lebten dagegen nur 60 bis 100 Menschen. Fehlt da nicht vielleicht eine Null? Das sind tatsächlich extrem niedrige Zahlen – auch wenn wir noch nicht alle Daten angrenzender Regionen haben. Wir nehmen die Werte aber ernst, versuchen Erklärungen zu finden. Jedenfalls bevorzugte diese Gruppe kalte, extrem offene Landschaften, lebte sogar nördlich der Baumgrenze – die damals entlang einer Linie südlich der Alpen verlief. Wie konnten diese kleinen Gruppen überleben? Durch Laufen. Die Menschen mussten weite Wege zurück legen, um ihr Überleben zu sichern. Nur über große Distan zen hinweg war es ihnen möglich, den Bedarf an Material und Nahrung zu decken. Und – was langfristig noch wich tiger war – Kontakte zu anderen, weit entfernten Gruppen zu knüpfen. Solche großflächigen Netzwerke erlaubten den Austausch von Wissen und vergrößerten den Genpool.

-

Wie sah es denn zwischen Osteuropa und Westeuropa aus, etwa bei uns im Gebiet des heutigen Deutschlands? Hier gab es große und sehr trockene Regionen – also ein Klima, das eigentlich ideal für die östliche Gruppe gewesen wäre. Trotzdem blieb das heutige Deutschland nach unseren Daten über rund 3000 Jahre komplett unbesiedelt. Warum wollte sich hier denn niemand niederlassen? Die Jäger und Sammler der östlichen Regionen Europas -

Europe“. Sie untersucht die Jäger und Sammler rend der letzten Vereisung Europas.

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biete schnitten den Weg ab. Für die westliche Gruppe kam Deutschland gar nicht infrage – für die war es hier zu kalt. Interview: Angelika Franz

Fundstücke Neue spannende Bücher, Dokumentationen und ein Gewinnspiel – mit historischen Kommissaren, großen Entdeckern und geheimnisvollen Spionen

IN EINER ZEIT VOR DEM BORDBISTRO Lachs im Rheingold

FOTOS: GETTY IMAGES, INSTITUT FÜR PRÄHISTORISCHE ARCHÄOLOGIE, PR (7), SCIENCE & SOCIETY/INTERFOTO

kate erzählen aus einer Zeit, als Reisen und Speisen noch im Luxus vereint waren. Spekulationen finden reichlich Futter: Was mag „Salmy von Enten“ oder „Suppe nach Dolgoruki“ sein? Leif Karpe: Weltfahrt. Edition Braus, 24,95 Euro POLIZEI-PIONIER Seine Techniken & Methoden machten den „Kommissar vom Alexanderplatz“ zur Legende. Herausragende Fälle von 1900 bis in die 1930er Jahre. Regina Stürickow Kommissar Gennat ermittelt Elsengold, 24,95 Euro

ÜBERWUNDEN Wie es zum Kalten Krieg kam, welche Krisen und „heißen“ Kriege mit ihm verbunden waren, wie sie gelöst wurden und was wir heute damit zu tun haben. Erhellend. Heinz Gärtner: Der Kalte Krieg. Marix, 6 Euro

ÜBERLEBT

FILM AB! Die Hintergründe erfahren zu mehr als 100 berühmten Werken der Filmgeschichte, zu Regisseuren und Schau spielern: Das stärkt ungemein die Small Talk Kompetenz und macht einfach Spaß! Das Film-Buch. Berühmte Filme einfach erklärt Dorling Kindersley, 24,95 Euro

über ihn herein. 14 mal sprang Sam Pivnik dem Tod von der Schippe, überlebte als Einziger seiner Familie den NS Terror. Hier erzählt er seine bewegende Biografie. Sam Pivnik Der letzte Überlebende Theiss, 19,95 Euro

Hinaus in die Welt

GEWINNSPIEL Ab nach Berlin

Der Vatertag ist ganz den wage mutigen Entde ckern gewidmet. Vier Dokumenta tionen erzählen die Erlebnisse von großen Abenteurern: Georg Forster, der mit James Cook um die Welt segelte und Hunderte Pflanzen arten entdeckte. Johann Burckhardt, der den Niger in Zentralafrika erkundete. Die Grönland Expedition von Alfred Wege ner. Und natürlich fehlt auch nicht Marco Polos Reise bis nach China. „Entdecker “, vier Dokumentationen, am 25. Mai 2017 ab 16.15 Uhr auf HISTORY

Im Thriller „Allied – Vertraute Fremde“ vom Oscar® prämierten Regisseur Robert Zemeckis spielen Brad Pitt und Marion Cotillard zwei Spione im Zweiten Weltkrieg. Zum Heimkinostart verlosen wir in Kooperation mit dem „Hollywood Media Hotel Berlin“ zwei Übernachtun gen inkl. Frühstück im Doppelzimmer für zwei Personen. Darüber hinaus gibt es zwei Eintrittskarten für Deutschlands einziges Spionagemuseum in Berlin. Sonstige Reisekosten trägt der Gewin ner. Weiterhin können Sie zwei DVDs des Films „Allied“ gewinnen. Schreiben Sie uns einfach an: history@pm magazin.de, mit dem Betreff: „Gewinnspiel Spion“.

Titeltauglich tor Andreas Pufal skizzierte mit wenigen Strichen, wie das neue Cover aussehen könn te. Warum schaut seine Marie Curie nur so verstimmt? Lost? Nur 60 Menschen sollen früher im Osten Europas gelebt haben? Redaktionsleiter Jens Schröder glaubte an einen Tippfehler. Die Redakteure brauchten lange, um ihn zu überzeugen: tatsächlich …!

Klassentreffen der Genies Redakteur Martin Scheufens ist Physiker – für ihn war die Arbeit an diesem Heft ein Wiedersehen mit den Helden seiner Jugend. Andere schmü cken ihr Büro mit Familien fotos, bei ihm hängt ein Bild der fünften Solvay Konferenz, einem legendären Treffen

SPIONE IM WELTKRIEG Marion Cotillard und Brad Pitt als Agenten auf heikler Mission TEILNAHME

dürfen nicht teilnehmen. Einsendeschluss 4. JUNI 2017 . Teilnahmeberechtigt sind alle Personen ab 18 Jahren, die ei genhändig einsenden. Der Gewinner wird per Los ermittelt. Eine Barauszahlung oder eine Übertragung der Gewinne auf Dritte ausgeschlossen. Es gilt deutsches Recht.

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Bahnreisen D

as Reisen war immer eine höchst beschwerliche Angelegenheit. Jahrhundertelang galten Schiff,

im Winter kam vielleicht noch der Schlitten hinzu. Als 1825 in England der erste Personenzug Fahrt aufnahm, begann ein völlig neues Zeitalter der Mobilität. Aus sehr bescheidenen Anfängen – die erste deutsche Eisenbahn strecke zwischen Nürnberg und Fürth 1835 war gera de mal sechs Kilometer lang und wurde mit maximal

fortables Reiseerlebnis. Dank der um 1860 herum von George Mortimer Pullman entwickelten luxuriösen Schlafwagen kam die Zugreise rasch auch in der besseren Gesellschaft in Mode. Obwohl innerhalb des Zugs vom Stehplatz über die Holzbank bis zum Luxussitz die sozia len Unterschiede sehr deutlich zutage traten, waren doch alle Fahrgäste gleich pünktlich oder unpünktlich am Ziel. Sehr demokratisch also. Das ist bis heute so geblieben.

MITROPA, 1929 „Die elegantes ten und billigs ten Schlafwagen der Welt“ – den Wahrheitsgehalt des vollmundigen Slogans können wir heute nicht mehr nachprüfen. Auf jeden Fall lehnt sich die vor 100 Jahren gegründete MITtel euROPäische Schlafund Speisewagen Aktiengesellschaft damit recht weit aus dem Wagenfenster.

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PULLMAN-SPEISEWAGEN, 1894 Als rauchende Schlote noch eine Sehenswürdigkeit waren: Zwei zechende Herren lassen sich auf der Bahnfahrt irgendwo durch den Nordosten der USA mit Schnaps und Zigarren verwöhnen.

DIE SCHÖNE EISENBAHN-REISE, 1935 Die umgedrehte Tasse muss noch auf ihren Einsatz warten. Die blonde Reisen de hat nur Augen für die wunderbare heimische Berg landschaft, die sich vor ihrem Abteil fenster ausbreitet. Ihrer Kleidung nach kommt sie aus der Stadt – vielleicht be sucht sie ihre Oma auf dem Land?

FOTOS: EVERETT COLLECTION, INC./ACTION PRESS, AKG-IMAGES, MUSEUM FOLKWANG ESSEN/ARTOTHEK

folgenden Jahrzehnten ein veritables Eisenbahnnetz. Ein Mehrklassensystem ermöglichte für wenig Geld die Mitfahrt – Preußen führte 1852 sogar eine vierte

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Eine Reise ins Reich der Barbaren Zum Ende des 13. Jahrhunderts besucht der Chinese Zhou Daguan das Land Kambuja am Mekong. von Angkor und erkundet die Gebräuche der Menschen – die er vorher für unterentwickelte Wilde gehalten hat Von Dirk Liesemer

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P.M. HISTORY – JUNI 2017

ÜBERWUCHERT

torischen Tempel in Angkor, das bau liche Erbe der alten Khmer

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as für ein Spektakel! So eine Prozession hat selbst der weit ge reiste Diplomat Zhou Daguan noch nicht gesehen. Barfüßige Soldaten marschie ren an ihm vorbei, dann kommen Musi ker und Flaggenträger. Mädchen folgen, eine ewig lange Reihe, 300, 400, viel leicht 500. Ihre Haare sind mit Blumen geschmückt, in den Händen tragen sie Kerzen – und das mitten am Tag. Wei tere Mädchen tragen Gefäße aus Gold und Silber. Atemlos saugt Zhou Dagu an, der aus China nach Kambodscha ge reist ist, an diesem Tag im Sommer des Jahres 1296 oder 1297 jedes Detail auf. Sein Gastgeber, der König der Khmer, die in China als Barbaren gelten, ver lässt heute seinen Palast – in einem feierlichen Umzug. Jetzt kommen die Wachen, bewaffnet mit Schilden und Lanzen. Als Nächstes goldgeschmückte Ziegen und Pferde, die Triumphwagen ziehen. Dann Männer, die scharlachro te Sonnenschirme schleppen, und Ele fanten, auf denen Minister und Prinzen sitzen. Schließlich schreiten Diener mit goldgesprenkelten Schirmen am stau nenden Daguan vorbei. Der Herrscher Srindravarman zeigt seinem Volk seine Macht. Da naht er endlich! Er steht auf einem Elefanten, dessen Stoßzähne mit Gold verziert

W

Hand. Um ihn herum sind Soldaten auf Elefanten gruppiert. Der König strebt jetzt einem Platz zu, an dem Palastmäd chen mit goldenen Sonnenschirmen

AUF IN DEN KAMPF Mit Kriegselefanten ziehen die Khmer um 1200 gegen ihre Nachbarn in den Krieg. Diese Szene gehört zu einem Tempelrelief in Angkor Thom

warten. An diesem Tag verbringt er die meiste Zeit vor einer kleinen Pago de, vor der eine goldene Buddhastatue steht. Niemand darf sich ungefragt dem Herrscher nähern. Wer in seine Rich tung blickt, muss sofort niederknien und mit Gesicht und Augenbrauen den Boden berühren – so notiert es der Be sucher. Üblicherweise empfängt der Kö nig zweimal täglich zu Audienzen. Wer

-

-

-

ihn sprechen will, setzt sich auf den Bo den. Muschelhörner ertönen, wenn der Herrscher in einer goldenen Sänfte zum Treffpunkt getragen wird. Sobald zwei Palastmädchen einen Vorhang zur Sei te ziehen, müssen alle Anwesenden mit ihrer Stirn den Boden berühren. Erst wenn die Musik verklingt, dürfen sie ihre Köpfe heben – und sehen dann den König vor sich, der auf einer gegerbten Löwenhaut sitzt. Am Ende lassen Pa -

Der Aufstieg der Khmer zur südostasiatischen Supermacht Das Reich der Khmer entstand im 9. Jahrhundert. Aus einigen kleinen

hundert kollabierte der Staat. Angkors Untergang hatte vermut lich eine Vielzahl von Gründen, vor allem dürfte eine Dürre für den Zusammenbruch der Hochkultur ausschlaggebend gewesen sein.

16

Von Angkor Borei aus herrscht Rudra varman gut 50 Jahre lang über die Khmer. Er ist der erste König, dessen Name bekannt ist. Er baut die Hauptstadt aus. Dort entstehen Kunstwerke wie diese Vishnu Statue aus Sandstein (rechts).

500

611

hört zur ersten be kannten Inschrift auf einem Stein block in Angkor Borei. Die von den Khmer genutzte Schrift wurde det heute noch in Kambodscha Anwendung. Im 19. Jahrhundert gelang es Forschern erstmals, die Schrift der Khmer zu entziffern.

FOTO VORHERIGE SEITE: GETTY IMAGES; FOTOS DIESE SEITE: BPK, ROLAND NEVEU/LIGHTROCKET/GETTY IMAGES, LUCA TETTONI/PICTURE-ALLIANCE (2); ILLUSTRATION: BRUCE MORSER/NATIONAL GEOGRAPHIC CREATIVE

Das Reich der Khmer

lastmädchen den Vorhang fallen. Erst dann dürfen alle aufstehen. Selbst Bar baren wüssten, wie man sich vor einem Herrscher verhalte, meint Daguan. hou Daguan verewigt mit seiner Schrift das sagenhafte Reich Kambuja während dessen pracht vollster Epoche. Ende des 13. Jahrhun derts herrschen die Khmer über weite Teile Südostasiens. Sie siedeln nicht nur im Gebiet des heutigen Kambodscha, sondern auch an Orten, die heute zu Thailand und Laos gehören. Doch die Khmer werden bereits in ihre Kernge biete zurückgedrängt. Thai aus dem Reich von Ayuttayah stoßen nach Wes ten vor, gründen Fürstentümer. Immer öfter erschüttern Konflikte das Reich. Knapp ein Jahr lang, von August 1296 bis Juni oder Juli 1297, erkundet der Besucher aus China die Anlagen von Angkor Wat und den Goldenen Tempel. Er staunt über verspiegelte Säulengän ge und bemerkt, dass der Königspalast und alle Häuser der Adligen nach Osten ausgerichtet sind – dorthin, wo die Son ne aufgeht. Er schreibt, dass die Khmer gern Honig- und Reiswein trinken. Er beobachtet, dass sich Kranke immer wieder den Kopf waschen, um gesund zu werden. Er berichtet von landwirt schaftlichen Geräten wie Pflügen, Si cheln und Hacken, die nur entfernt jenen ähneln, die in China verwendet werden. Außerdem erfährt er, dass ne ben Reis auch Senf, Zwiebeln, Lauch, Auberginen, Wassermelonen, Kürbis, Gurken und Okra angebaut werden.

Z

Im 8. Jahrhundert kämpfen mehrere Khmer-Staaten gegeneinander, die von einflussreichen Familien ge lenkt werden. Die Inschrif ten der Khmer berich ten aber nicht nur über Konflikte. Diese Stele (rechts)thema tisiert Salzlieferungen.

700

In Stein gemeißelte Geschichte Die Reliefs in den Tempeln der Khmer zeigen Schlachten und Siege – aber auch den Alltag des Volkes: Geburten, Glücksspiel, Marktszenen. Einige der Kunstwerke sind unvollendet geblieben. Sie verraten, wie die Handwerker gearbeitet haben. Zunächst skizzierten sie eine Szene, dann ritzten sie die Umrisse in den Stein ein. Erst danach griffen sie zu Hammer und Meißel. Neben Bildnissen sind auch 1300 Inschriften an Angkors Tempeln erhalten. Doch ihr Bestand ist bedroht: Die Zersetzung bedroht die Denkmäler. DIE STEINMETZKUNST Skizzieren

Einritzen

Meißeln

FESTKULTUR Zwei Männer tauchen ein Wildschwein in einen Topf mit kochendem Wasser, um die Borsten zu entfer nen. Rechts bereitet ein Koch Fische auf dem Grill zu. Ein anderer trägt wohl Zuckerhüte aus Palmsaft. Das Bild gehört zu einem Relief am Bayon-Tempel

802 versellen Herrscher. Er eint die sich bekriegenden Kleinstaaten zu einer mächtigen Nation und regiert bis 850. Seine Hauptstadt lässt er in der Nähe des Ortes errichten, an dem nach 889 Angkor entsteht. Ihr Bauherr ist aber vornehmlich Yasovarman I.

-

Rajendravarman II. macht Yasodhara pura, die „ruhmbringende Stadt“, zur Hauptstadt des Angkor-Reichs, das diesen Namen aber erst ab dem

944

nigsnamen bestehen aus der Silbe „varman“, vor die die Herrscher den Namen eines Hindu-Gottes stellen. Sie bedeutet: „beschützt von“.

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Prächtiges Kambodscha Mitte des 12. Jahrhunderts begannen die Arbeiten am größten Tempel der Welt. In der Nähe der Hauptstadt ent stand Angkor Wat, zunächst der Hin du-Gottheit Vishnu geweiht. Schon bald wuchsen die fünf Türme empor. Mit zahlreichen Gräben, Kanälen und Staubecken sicherten die Khmer das Areal gegen Überschwemmungen in der Monsunzeit ab. Das Wasser wurde in der Region gesammelt, kunstvoll kanalisiert und ermöglichte auch in trockenen Perioden mehrere Ernten.

VIELKÖPFIG Die Schlangengottheit Naga beherrscht Magie. Sie hat mehrere Köpfe, wacht über den Regen und bringt den Menschen Wohlstand

DIE HAUPTTEMPEL VON ANGKOR Jeder Herrscher der Khmer lässt Tempel errichten. Phnom Bakheng war der Erste PHNOM BAKHENG ca . 900

Nach seiner Rückkehr nach China wird Daguan einen Bericht über die Khmer verfassen, der einzigartige Ein blicke in eine Kultur gewährt, über die sonst wenig bekannt wäre. Die Men schen von Angkor hinterlassen zwar Tempelanlagen wie Angkor Wat, aber fast keine Zeugnisse, abgesehen von kurzen, raren Inschriften und schwer zu deutenden Reliefs. Heute gilt nicht einmal die Abfolge der Herrscher in der

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PRASAT KRAVAN PHIMEANAKAS 921 ca. 910–1100

Angkor-Zeit zwischen dem 9. und dem 15. Jahrhundert als gesichert. Sogar der Name „Kambodscha“ taucht erst in späteren thailändischen Chroniken auf und bedeutet „Nachkommen des Kam bu“, eines mythischen Stammvaters der Khmer. Wenige Jahre vor Zhou Dagu ans Besuch waren chinesische Gesand te an den Mekong gereist. Sie wurden gefangen genommen und verschwan den. 1295 entschied Timur Khan, der

-

TA KEO ca. 1000

chinesische Kaiser, dass sich erneut ein Botschafter aufmachen soll. Dagu an wird zu dessen Begleiter ernannt. Fast nichts ist über diesen Chronisten bekannt – nur dass er aus Zhejiang am Ostchinesischen Meer stammt. Wie er aussah, welche Ausbildung er durchlief, ist nirgends festgehalten. Der Botschafter und sein Beglei ter verlassen die Küstenstadt Ningpo „während des zweiten Mondes im Jahr

Das Reich der Khmer

MÄCHTIGER TEMPEL Angkor Wat ist das größte Sakralgebäude der Welt. Er entstand wohl in weni ger als 40 Jahren Bauzeit. Das Gebäude aus Sand stein war vermutlich einst strahlend weiß getüncht und bunt verziert

Tempeleingang nach Westen

HEILIGE GEOMETRIE Angkor Wat spiegelt den Hindu-Kosmos. Die fünf Türme symbolisieren den mythischen Berg Meru, Sitz der Götter. Die konzentrischen Mauern stehen für andere Berge

ILLUSTRATION: BRUCE MORSER/NATIONAL GEOGRAPHIC CREATIVE

ANGKOR WAT 1113–ca. 1150

Ping-Chen“, also zwischen dem 5. März und 3. April 1296. Wochenlang kreuzt ihr Schiff gegen starken Wind südwärts und gelangt endlich zum Mekongdelta, einem Irrgarten voller tückischer Sand bänke. Als der siebte Mond am Himmel steht, im August, erreichen sie mitten in der Regenzeit die Hauptstadt der Khmer und dürfen am Königshof leben. Zhou Daguan erhält vier- oder fünf mal eine Audienz bei König Srindravar -

PREAH KHAN 1191

man. Der Herrscher empfängt Gäste in einer Halle mit vergoldeten Fenstern. Die neugierigen Frauen des Hofes sitzen auf einer Veranda und wechseln regel mäßig ihre Plätze, um den Fremden be trachten zu können. Der König, der stets von seiner Hauptfrau begleitet wird, trägt auf seinem Kopf meist ein Diadem, manchmal auch eine Blütengirlande. Perlen schmücken seinen Hals, goldene Reife die Arme und Fußgelenke.

BAYON wohl Ende des 12. Jahrhunderts

Srindravarman hatte sich kurz vor Ankunft des Gesandten an die Macht geputscht. „Der neue Führer ist der Schwiegersohn des alten Herrschers“, berichtet Daguan. „Ursprünglich war er für Truppen verantwortlich. Als der Schwiegervater starb, nahm die Toch ter heimlich den Degen und gab ihn ihrem Gatten, sodass der richtige Sohn nicht die Nachfolge antreten konnte. Er zettelte eine Verschwörung an, um

19

Die Macht der Götter Vor der ersten Jahrtau sendwende kamen Hin duismus und Buddhis mus nach Südostasien. Händler und Seefahrer aus Indien brachten die beiden Religionen zu den Khmer. Deren erste Könige sahen sich selbst als Halbgöt ter, errichteten große Hindukors Blütezeit wurde dann der Buddhismus Staatsreligion.

VISHNU

SHIVA

BRAHMA

Hinduismus

Buddhismus

Vishnu, Shiva und Brahma sind wichtige Gottheiten im Hinduismus. Vishnu und Shiva wurden von den Kö nigen als Schutzpatrone gewählt. Ihre Abbilder und Tausende überir dische Wesen schmü cken auf Reliefs und als Statuen die Tempel Kambodschas. Allein in Angkor Wat gibt es rund 1700 Apsaras aus Stein, Himmelstänzerinnen. Sie sollen aus dem Schaum der Meere auferstanden sein.

Im Reich der Khmer wurde der Buddhismus 1181 zur Staatsreligion bestimmt. Doch auch Hindu-Götter durften weiter angebetet werden. Beide Religio nen verschmolzen im Reich: So rettete laut einer Sage die hinduis tische Wasserschlange Naga den an einem Fluss meditierenden Buddha. Er hatte nicht bemerkt, dass das Wasser an stieg. Die Schlange bettete den Er leuchteten höher.

DIE DREI GÖTTER Vishnu erhält, Shiva zerstört und Brahma erschafft Neues

Truppen zu gewinnen, aber der neue Fürst erfuhr es, schnitt ihm die Zehen ab und steckte ihn in eine dunkle Kammer.“ Am Ende der Regenzeit erlebt Zhou Daguan ein einzigartiges Spektakel. Er beobachtet, wie vor dem Palast eine riesige Bühne für mehr als 1000 Men schen errichtet wird. Man schmückt sie mit Blumen und Lampions. Nicht weit davon entfernt wächst ein hölzernes, 60 Meter hohes Podest in den Himmel, anschließend werden weitere Podes te gebaut. An ihren Spitzen sind Böller und Raketen befestigt. Für die Nacht zum Neujahr lädt der Herrscher seine Minister und die

Gesandten ein. Als es dunkel wird, be

SYMBIOSE Buddha und die Hindu-Gottheit Naga

sius. Es sei sonst unmöglich, durch den Tag zu kommen, notiert Daguan, ohne mehrmals zu baden. Zwar gebe es keine Badehäuser, aber jede Familie verfüge über einen Teich.

Seit jeher schätzen die Khmer das Wasser. Sie zapfen den Mekong und die Seen an. Kanäle verzweigen sich in den Reisfeldern. Drei , viermal im Jahr finden Ernten statt, deren Produkte auf Märkten angeboten werden. Es sind Frauen, die sich auf den Handel verste hen. Alle Chinesen, die sich im Land der Khmer niederließen, erzählt Daguan, suchten sich als Erstes eine Frau. Ihre Waren – Granatäpfel, Auberginen oder Lotuswurzeln – bieten die Händlerin nen auf Matten feil. Kleine Einkäufe werden mit Reis beglichen, andere mit Stoff. Nur die wertvollsten Dinge sind für Silber und Gold aus China zu haben.

König Suryavarman II. lässt die Tempel anlage Angkor Wat errichten. Er knüpft enge diplomatische Bezie hungen mit China. Bedeutend ist auch der Herrscher Jayavarman VII. (als Statue links). Er regiert von 1181 bis 1215 und reanimiert das durch Kriege geschwäch te Impe rium der Khmer.

Das Reich erlangt unter Jayavarman VII. seine größte Ausdehnung. Er baut die Tempelanlage Angkor Thom und macht den MahayanaBuddhismus zur Staatsreligion. Ab 1270 werden viele Buddhastatuen zerstört, für die Taten sind wohl Hindus verantwortlich. 1296 be sucht Zhou Daguan Angkor.

ren, ein gewaltiges Dröhnen zerreißt die Ruhe. Die ganze Stadt scheine zu beben, berichtet Daguan. Raketen zer platzen funkensprühend in der Höhe.

N

un beginnt die Trockenzeit. Kühlere Winde wehen übers Land. So steigen die Tempe

Das Reich der Khmer Suryavarman I. erobert den Thron. Dafür musste er fast ein Jahrzehnt lang Krieg führen. Er vergrößert das Reich und herrscht bis 1049. Der König legt den Westlichen Baray an, ein acht Kilometer langes Staubecken.

1011

1113

1200

FOTOS: AKG-IMAGES/ERICH LESSING, YANN ARTHUS-BERTRAND/GETTY IMAGES, RMN – GRAND PALAIS/JOHN GOLDINGS/BPK, BRIDGEMAN IMAGES; ILLUSTRATION: BRUCE MORSER/NATIONAL GEOGRAPHIC CREATIVE

Das Reich der Khmer

WASSERKUNST Die Tempelanlagen von Angkor Wat sind von einem Kanal umgeben. Kunstvolle Bewässerungsanlagen und Stauseen ermöglichten den alten Khmer, mehrfach im Jahr Reis zu ernten. Dieser Überschuss brachte dem Reich großen Reichtum ein

Rasch lernt Zhou Daguan die Men schen kennen. Bei vielen Familien sieht er Dutzende Sklaven, manchmal angeblich Hunderte, die aus Bergstäm men entführt wurden. Die Armseligen schlafen unter den Stelzenhäusern ihrer Besitzer. Vor dem Hausherrn müssen sie knien, die Hände aneinander legen und sich verbeugen. Viele werden ge schlagen und ausgepeitscht. Daguan trifft auch Thai und erfährt, dass sie ihrer Heimat bringen sie Larven von Seidenraupen und die Samen von Maul beerbäumen mit. Erstmals sehen die Khmer nun Menschen, die farbig ver -

zierte Seidenstoffe tragen. Seine chine sischen Landsleute hingegen verbreiten die Feuerbestattung im Land. Denn die Khmer legen ihre Toten traditionell auf Strohmatten, bedeckt nur von etwas Kleidung. Wird eine Leiche von Geiern und anderen wilden Tieren verschlun gen, dann – so heißt es – hat der Tote ein verdienstvolles Leben geführt. Im Februar steigen die Temperaturen wieder, im April flimmert es vor Hitze. Oft sind es jetzt über 40 Grad. Bäche ver siegen, Reishalme verdorren. Wochen später verlässt Zhou Daguan das Reich der Khmer. Am Himmel steht der sechste Mond des Jahres Ting-Yu der Periode Ta-

Zu Beginn des 14. Jahrhunderts ver liert das Reich an Macht und Vita lität. Eine letzte Inschrift in Angkor erinnert an einen unbedeutenden Monarchen. Wissenschaftler hal ten das Jahr 1327 für das Ende der klassischen Khmer-Periode. Um 1362 beginnt eine Dürreperiode, die gut 30 Jahre andauern wird.

Zum Beginn des 15. Jahrhunderts erobern die Armeen der benach barten Königreiche Champa und Ayutthaya immer mehr Gebiete, die von den Khmer kontrolliert werden. 1431 übernehmen die Ayutthaya aus dem heutigen Thailand schließlich die Herr schaft über die Angkor-Region.

1327

1400

Te; vermutlich Anfang Juli 1297. Dagu an erreicht China am zwölften Tag des achten Mondes, dem 30. August 1297. Dort verfasst er seinen Bericht. Noch 1346 soll er leben, dann verliert sich sei ne Spur. Sein Text bleibt lange die ein zige Quelle über die Khmer. Sie selbst hundert fast keine eigenen Zeug nisse, nicht einmal Inschriften.

Dirk Liesemer wollte eigentlich seit Langem einmal Südame rika bereisen. Möglicherweise geht es nach dieser Recherche aber zuerst nach Südostasien …

Der Königshof zieht nach Lovek am Tonle Sap, einem Seitenarm des Mekong. Ein Binnenhafen erblüht, die Elite der Khmer entdeckt den Überseehandel für sich. Ein lohnendes Ge -

1528

Jahrhunderts. Dann annektiert Vietnam das Mekongdelta.

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Meisterwerk

it einem Metalldetektor ausgerüstet besteigen 1999 zwei Raubgräber den Mittelberg nahe der Stadt Nebra. Seit Jahren untersuchen Archäolo gen die Gegend, in der Nähe wurden Überreste aus der Jungsteinzeit gefunden, die als Sonnenobservatorium gedient haben könnten. Die beiden Laien hoffen, Pfeil spitzen und andere Kleinigkeiten zu finden, die sie auf dem Schwarzmarkt verhökern können – denn was gefun den wird, gehört eigentlich dem Land Sachsen-Anhalt. Tatsächlich finden sie einen echten Schatz: zwei Bronze schwerter, Beile, Armreifen. Und eine runde Scheibe, die sie als Schild interpretieren. Sie verkaufen sie an einen Hehler. 2002 stellt die Polizei den Fund sicher. Erst da kommt heraus: Die Scheibe stellt das Firmament dar, sie ist mindestens 3700 Jahre alt. Damit ist sie die zweitäl teste Himmelsdarstellung weltweit. Während in Ägypten schon die Cheops-Pyramide stand, lebten die Menschen in Mitteleuropa noch in der frühen Bronzezeit. Erst seit Kurzem war die Herstellung des wertvollen Materials aus Kupfer und Zinn bekannt. Umso überraschender, dass ausgerechnet hier diese Him melsscheibe entstand. In die Bronze wurden mit Gold blech mehrere Motive eingearbeitet: ein Vollmond und

M

PLEJADEN Die sieben Sterne, am Firmament im Sternbild Stier zu finden, gehören zu den hellsten Ge stirnen am Nacht himmel. Von vielen frühen Kulturen ist ihre Beobach tung überliefert, etwa auch im Alten Testament.

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2100–1700 v. Chr.

ein zunehmender Mond, ein Siebengestirn neben weite ren nicht zu identifizierenden Sternen. Später wurden eine Sonnenbarke sowie an beiden Rändern Horizont bögen ergänzt. Durch die chemische Zusammensetzung konnten Forscher feststellen, woher die Materialien ka men: Das Kupfer stammte aus Österreich, das Gold und das Zinn sogar aus dem heutigen England. Die Menschen dieser Gegend hatten damals offenbar Handelskontakte bis in ferne Regionen Europas. Die genaue Interpretation der Scheibe ist bis heute umstritten. Womöglich ließ sich mit ihrer Hilfe die Posi

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dafür spricht auch der Fundort auf einem Berg. Zwei Ho rizontbögen links und rechts am Scheibenrand decken jeweils 82 Grad ab, dies entspricht in diesem Breitengrad jenem Winkelbereich am Horizont, innerhalb dessen die Position des Sonnenaufgangs im Laufe eines Jahres vari iert. Sollte die Interpretation stimmen, wäre die Scheibe eine Art Kalender, mit dem sich die Winter- und Sommer sonnenwende bestimmen ließen. Womöglich half sie, den Zeitpunkt zur Aussaat und Ernte zu finden, aber auch den von religiösen Festen – bis sie um 1600 v. Chr. zusam men mit den anderen Beigaben vergraben wurde.

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SONNENBARKE Auf einem Schiff durchquert die Sonne tagsüber den Himmel und nachts die Unter welt. Das Motiv ist auch im antiken Ägypten bekannt. Womöglich brach ten weit gereiste Händler es mit ins nördliche Europa.

FUNDORT Entdeckt wurde die Scheibe auf dem 252 Meter hohen Mittelberg. Unweit davon fanden sich Relikte aus der Jungsteinzeit, etwa in Goseck, die vielleicht als astronomisches Observatorium gedient haben.

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FOTOS: FINE ART IMAGES/AGE FOTOSTOCK/AVENUE IMAGES

Himmelsscheibe von Nebra

Himmelsscheibe von Nebra, Ø 32 cm, 2,3 kg, Landesmuseum für Vorgeschichte Sachsen Anhalt in Halle

SCHÄDEN Bei der Ausgra bung schlugen die Raubgräber eine Kerbe in die Scheibe, zudem splitterte Gold Auch die Hehler fügten Schäden zu. Die Scheibe musste aufwendig restauriert werden.

LÖCHER Die später hinzu gefügten Löcher zise platziert – ein Hinweis darauf, dass mit der Him melsscheibe etwas vermessen wurde. gen könnten Sonnenpositionen markieren.

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Pioniere der Wissenschaft

Die Epoche der

rzneien aus dem Labor, mit denen sich Seuchen bekämpfen und Millio nen Leben retten lassen. Rätselhafte Strahlen, die Einblicke in den menschlichen Körper ermöglichen. Unsichtbare Wellen, die Sprache durch die Luft tragen können: Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts ist eine Epoche der großen Erfindun

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glaubens. Wissenschaftler dringen wie im Rausch vor zu immer neuen Geheim nissen. Entdecken nie gekannte Welten: am Boden der Ozeane, in den Zellen des menschlichen Körpers oder im tiefsten, atomaren Inneren aller Materie. Die Natur, bis vor Kurzem noch oft verklärt als ein kaum zu hinterfragen des, gottgegebenes Wunder, wird nun gnadenlos getestet und gemessen und notfalls auch entzaubert. Durchaus im Wortsinn: So beweist der Physiologe Emil du Bois Reymond mit einem ver feinerten Messgerät, dass in den Nerven und dass also lebendige Geschöpfe, wenn man so will, auch nicht völlig an ders funktionieren als Maschinen. Freilich: Auch in vorangegangenen Jahrhunderten hatten kluge Köpfe be reits große Entdeckungen gemacht. Aber die Epoche eines Genies wie Isaac Newton etwa, also das 17. Jahrhundert, war noch geprägt von einem aus heuti ger Sicht naiven Verständnis von For schung. Die wichtigste Fachpublikation für Wissenschaft hieß damals „Philo sophical Transactions of the Royal So ciety“ – und versammelte neben bahn brechenden und auf konkreten Studien beruhenden Erkenntnissen Isaac New tons oder Robert Hookes auch mas senweise skurrile Aufsätze über das Anpflanzen von Kürbissen oder über Nutztiere mit lustigen Eigenschaften.

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Genies Im 19. Jahrhundert gelingen in fast allen Wissenschaften unfassbare Durchbrüche . Forscher definieren das Wissen völlig neu – im Guten wie im Schlechten Von Jens Schröder

Aber dann, rund 200 Jahre später, hat der Forscherdrang System bekom men, werden neue Methoden und Er kenntnisse von einer Fachöffentlich keit diskutiert und bewertet. „Was den Fortschritt der Wissenschaft angeht, so scheint es ein Naturgesetz zu ge ben“, bringt es der britische Physiker Michael Faraday auf den Punkt: „Wo man die Dinge nur beobachten kann, da kriecht das Wissen langsam voran. Aber sobald Laborexperimente durch geführt werden, macht die Erkenntnis riesige Sprünge.“ Der Erfinder Werner von Siemens prophezeit im Jahr 1886 „dass das Licht der Wahrheit, die wir erforschen, nicht auf Irrwege führen, und dass die Machtfülle, die es der Menschheit zuführt, sie nicht erniedri gen kann, sondern sie auf eine höhere Stufe des Daseins heben muss“. ie ist diese Dynamik des For schens und Wissenwollens entstanden? Zum einen sto ßen Wissenschaftler in verschiedenen Disziplinen fast zeitgleich in neue Fel der vor. Durch Erkenntnisse etwa von

W

James Maxwell oder Ludwig Boltzmann (oder etwas später: Albert Einstein und Max Planck) bricht in der bis dahin un geliebten theoretischen Physik eine Art Goldgräberstimmung aus. Die besten Köpfe wollen die Welt der Quanten und Teilchen in den Griff bekommen! Nach und nach setzt sich in den gro ßen Kliniken zudem eine neue Theorie nach der Leiden und Seuchen oft von unsichtbaren Kleinstlebewesen verur sacht werden, gegen die sich gezielt mit Impfstoffen vorgehen lässt. Eine Revo lution der Medizin! Und spätestens mit dem Siegeszug von Darwins Evolutionslehre (veröf befangenen, analytischen Hinterfragen der „Schöpfung“ geebnet. Das versetzt viele Forscher in Euphorie, die sich den Rätseln der Tier und Pflanzenwelt auf rationale Weise annähern wollen. Mit dem Begriff „Oecologie“ prägt der Je naer Gelehrte Ernst Haeckel zudem erstmals die Idee von einem „Natur haushalt“, mit der sich alles Leben als ein komplexes Zusammenspiel der Ar ten interpretieren lässt.

NEUER DURCHBLICK Mit diesem Mikroskop soll der französische Forscher Louis Pasteur gearbeitet haben. Er bewies, dass Mikroorganismen Seu chen übertragen können

lisierung der Wirtschaft bringt es mit sich, dass Innovation immer größere Belohnungen verspricht. Der Anreiz, Neues zu erfinden, ist gewachsen. In den USA wird Thomas Alva Edison zum Star. Und schwerreiche Industriekapi täne wie Andrew Carnegie wissen ge nau, dass sie Teile ihres Erfolgs der For schung verdanken – im Fall Carnegies war das etwa eine neue Technologie zur „Entkohlung von Roheisen“, die seine Stahlwerke effizienter machte. in besonders forschungsfreund liches Klima entwickelt sich in Deutschland, wo Erfolg in der Wissenschaft bald als Prestigefaktor im Wettbewerb der Nationen verstanden wird. Ein Feld, auf dem Kaiser Wilhelm II. punkten will: „Wir stehen an der Schwelle der Entfaltung neuer Kräfte“, schwört er seine Untertanen ein. „Das neue Jahrhundert wird bestimmt durch die Wissenschaft, inbegriffen die Technik, und nicht wie das vorige durch die Philosophie. Dem müssen wir entsprechen.“ Zwischen 1901 und 1918 geht knapp ein Drittel aller Nobelprei

FOTO: SCIENCE & SOCIETY/INTERFOTO

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nicht zuletzt, weil die deutschen Län der auch untereinander im Wettbewerb stehen. Das preußische Kultusministe rium etwa lockt den Radiowellen Pio nier Heinrich Hertz an eine preußische Universität, indem man verspricht, die Pflicht zum Abhalten von Vorlesun gen bei ihm nicht allzu eng auszulegen. Er soll in Ruhe forschen! Dass neues Wissen aber nicht automatisch Gutes bewirkt, zeigt sich mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs im

August 1914. Die meisten Spitzenfor scher, die zu diesem Zeitpunkt in Ber lin ihrer Arbeit nachgehen, haben bis dahin mit Politik nicht viel zu tun. Den noch stellen sie sich sofort mit einem gemeinsamen Pamphlet in den Dienst des kaiserlichen Militärs. Und sie bie ten ihre Hilfe an im Kampf gegen die Entente, die angeblich „mit Negern, Mongolen und russischen Horden“ den Niedergang der weißen Rasse betreibe. Zu den 93 Unterzeich nern des Briefes „An die Kultur welt“ zählen auch Genies wie Max Planck, Wilhelm Conrad Röntgen, Walther Nernst und Fritz Haber. Ein von Albert Einstein unterstütztes Ge gen Papier, das zum Frieden mahnt, erhält lediglich vier Unterschriften. An den Instituten und in den Laboren werden nun Kriegsgüter entwickelt. Der Chemiker Fritz Ha ber, der in einem Geniestreich eine Methode zur Herstellung von Kunst dünger gefunden hatte und damit bis heute Millionen Menschen vor dem Hungertod bewahren konnte, befasst sich nun mit Sprengstoff und Giftgas. Der französische Pionier der Mikrobiologe, Louis Pasteur, re tot. Selbst für den Krieg zu for vorstellen können. Von ihm ist der Satz überliefert: „Ich glaube unbedingt daran, dass Wissenschaft und Frieden schließlich über Unwissenheit und Krieg triumphieren und die Völ ker der Erde übereinkommen werden, nicht zu zerstören, sondern aufzubauen.“ Ein Motto, dem sich die Forscher Europas erst wie der Jahrzehnte später zu gewandt haben.

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GRÜNDERVATER Der Franzose Louis Pasteur, Chemiker und Physiker, macht die Bakteriologie populär. Er entwickelt zudem das „Pasteurisieren“, um Lebensmittel halt barer zu machen

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P.M. HISTORY – JUNI 2017

Wettstreit der Wohltäter Sie sind erbitterte Rivalen, haben aber die gleichenZiele: Louis Pasteur und Robert Koch wollen Seuchen bekämpfen – und Ruhm ernten Von Christiane Löll

FOTOS: CPA MEDIA/PICTURE-ALLIANCE, SCIENCE PHOTO LIBRARY

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ie Mutter hat Angst, als sie im Juli 1885 mit ih -

Paris reist. Ein tollwüti jährigen Joseph Meister angefallen. Das bedeutet einen grausamen Tod. Doch in Paris ist Hoffnung: Dort forscht der Wissenschaftler Louis Pasteur an einem Mittel gegen die Krankheit. Er vermu tet, dass kleinste Lebewesen, die mit bloßem Auge nicht zu erkennen sind, die Tollwut auslösen. Eine gewagte The se. Denn nur sehr wenig ist zu jener Zeit über die unsichtbare Welt der Mi kroben bekannt. Und alles ist umstritten. In Versuchen an Kaninchen hat Pasteur gezeigt, dass sich der Tollwut keim im Rückenmark befinden muss. Der Forscher ist überzeugt: Lässt man dieses Mark an der Luft „altern“, so wird sich der Erreger darin abschwä chen. Und injiziert man ein Gemisch aus diesem Mark einem Menschen, der vor Kurzem gebissen wurde, so wird die Tollwut bei ihm nicht auftreten. Die Hoffnung: Sein Körper „trainiert“ sich an dem abgeschwächten Feind – und kann dann eine Immunität entwickeln. Pasteur ist kein Arzt, sondern Che miker und Physiker. Aber der 62-Jäh rige hat bereits Impfungen gegen Tier -

DER ERSTE PATIENT Joseph Meister wird mit neun Jahren von einem tollwütigen Hund gebissen. Pasteur kann ihn retten. Dank sei nes Impfstoffes bricht dem Jungen nicht aus

seuchen wie die Hühnercholera und Milzbrand entwickelt. Jetzt will er auch Menschen heilen. In den folgenden elf Tagen erhält der Junge aus dem Elsass 13 Impfungen – und erkrankt nicht an der Tollwut. Eine Sensation. Bald strö men die Patienten von überall nach Pa ris, selbst aus den USA und Russland. Pasteurs Forschung ist symptoma tisch für eine Zeit des Umbruchs in der Medizin. Bis vor Kurzem ging die Fach welt noch davon aus, dass Krankheiten durch Ausdünstungen aus der Erde oder Verunreinigungen in der Luft verur sacht werden. Mikroben? Das ist ein völ lig neues Konzept von Krankheit. Dass es die winzigen Lebewesen gibt, haben Forscher mit Mikroskopen bereits im 17. Jahrhundert entdeckt. Teils werden sie schon „Bakterien“ genannt, aber ihre Eigenschaften sind noch immer rätselhaft. Seit Beginn des 19. Jahrhun derts gibt es zwar einen Impfstoff gegen die tödlichen Pocken. Aber niemand kann sagen, was er genau bekämpft. Seit mehr als 20 Jahren erforscht Pasteur zu diesem Zeitpunkt bereits die Welt der Mikroben. Mitte der 1860erJahre entdeckt er zum Beispiel in erkrankten Zucht-Seidenraupen einen Keim, der wie Pflanzen kleine Sporen herstellt. Im Lauf der Jahre entwickelt

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Pioniere der Wissenschaft

TIERVERSUCHE Louis Pasteur begutachtet in seinem Labor eini ge Kaninchen, an denen er mit Krankheitserregern experimentiert

er seine Impfideen. Die Waffen der Kör perabwehr, Fresszellen und Antikörper, kennt Pasteur nicht. Aber er zieht rich tige Schlüsse. uch andere wollen sich einen Namen auf dem neuen Feld der

A

teurs schärfster Konkurrent zum Zeit punkt der ersten Tollwutimpfung ist Robert Koch, ein Arzt aus Clausthal, der 1882 den Verursacher der Tuberkulose entdeckt hat, die jährlich Hunderttau sende Menschen das Leben kostet.

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AM SEZIERTISCH Louis Pasteur untersucht in seinem Labor ein Versuchskaninchen. Stich von 1886

Ausgerechnet ein Deutscher macht Pasteur den Rang streitig! Der französi sche Forscherstar ist seit dem Krieg von 1870/71 ein brennender Nationalist und hasst die Deutschen, er hat sogar einen Ehrendoktor der Universität Bonn zurückgegeben. Und dann ist dieser Koch auch noch gut 20 Jahre jünger, hat seine Karriere noch vor sich. Koch ging noch zur Schule, als der Franzose ent deckte, dass Mikroben bei der Gärung von Nahrungsmitteln eine Rolle spie len. Und während Koch in Göttingen studierte, entwickelte Pasteur bereits

das nach ihm benannte Verfahren, um Keime in Lebensmitteln abzutöten. Als Koch anfängt, als Arzt zu arbeiten, wird Pasteur Professor an der Sorbonne. Und dieser Mann aus der Provinz will dem großen Pionier aus Paris jetzt die Show stehlen? Ja, das will Koch. In den 1870er Jahren betreibt er im preußischen Wollstein eine Land arztpraxis, kommt finanziell kaum über die Runden. Dennoch bestellt er das modernste Lichtmikroskop. Beim Blick durchs Okular vergisst er seine

FOTOS: GRANGER NYC/INTERFOTO, MARY EVANS/INTERFOTO (2)

KAMPF GEGEN DIE TOLLWUT Pasteur beauf sichtigt eine Schutzimpfung an einem jun -

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Die Welt der Fünfzigerjahre Adenauers Demokratur

Die mühsame Integration

los eine Infektionskette zwischen Er reger und Krankheit hergestellt. Louis Pasteur in Paris nimmt die Publikation des Deutschen zur Kenntnis – und ist nicht erfreut. Er selbst wird darin nicht ein einziges Mal zitiert, obwohl seine Studien zu Seidenraupen auch schon Erkenntnisse zu Sporen geliefert haben. Mit aller Macht widmet Pasteur sich von 1877 an ebenfalls der Bekämpfung des Milzbrandes, macht Besuche bei Bauern, lässt sich Fälle beschreiben. Er geht davon aus, dass Regenwürmer beim Durchwühlen der Erde den Erre ger verbreiten – was sich bewahrheitet. m 1880 steht Pasteur vor ei jahr verendeter Tiere geweidet haben und später bei Versuchen mit Milz ten nicht, wie Annick Perrot und Ma xime Schwartz in ihrem Buch „Duell zweier Giganten“ beschreiben. Hatten sie eine Immunität gegen den Erreger entwickelt? Wenn ja: Könnte man diese auch gezielt hervorrufen? Pasteur ist bereits dabei, die Idee mit einer anderen Krankheit zu testen: Einige Hühner erhalten zunächst alte und damit abgeschwächte Kulturen von Geflügelcholeraerregern – und bekom men dann frische Mikroben gespritzt. Ergebnis: Die Tiere werden tatsächlich nicht krank. Der Versuch gilt bis heute als Geburtsstunde der im Labor entwi ckelten Impfstoffe. Auch am Milzbrand forscht Pasteur weiter, verkündet bald, dass er auch gegen diese Seuche ein wirksames Se rum hat. In Paris machen sich seine Mitarbeiter an die Produktion des Milz brandimpfstoffes. Die Nachfrage nach Impfstoffdosen geht bald in die Hun derttausende, sodass ein eigenes Labor und ein Vertrieb eingerichtet werden. Unterdessen hat es der Autodidakt Koch nach Berlin geschafft. Seit 1880 ist er beim Kaiserlichen Gesundheitsamt angestellt. Dort stürzt sich der 37-Jäh rige auf die Verfeinerung der Techni ken in der neuen „Bakteriologie“: Er entwickelt feste Nährmedien, experi mentiert mit Färbemitteln, mit denen

U DEN BAKTERIEN AUF DER SPUR Robert Koch weist nach, wie Mikro ben Seuchen über tragen und erhält den Nobelpreis

Patienten, seine Frau, seine Tochter Tru dy. Für die Experimente des Hausherrn muss die Familie Mäuse fangen und Meerschweinchen halten. Koch sucht einen Beweis: Er will die rätselhaften Mikroben selbst züchten, sie kultivieren und dann Versuchstiere systematisch mit Krankheiten anstecken. Nur so kön ne man Kritiker der Mikroben-Theorie überzeugen, findet er, während er am Milzbrand forscht. Die Tierseuche lässt jeden Sommer Schaf- und Rinderher den verenden. Die Tiere liegen dann in ihrem schwarzen Blut auf den Weiden, die fortan als verseucht gelten. Im Frühjahr 1874 entdeckt Koch durch sein Mikroskop bestimmte Bak terien im Blut von Schafen, die an Milz brand gestorben sind. Im Innern dieser stäbchenförmigen Bakterien tauchen

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immer wieder kleine Punkte auf. Was kann das sein? Koch sucht nach einem Medium, in dem er die ominösen Stäbchen züchten kann. Und er findet es: In einer Flüssig keit, die er aus den Augen von Kanin chen extrahiert, fühlen sich die Mikro ben offenbar wohl, vermehren sich. Die Körnchen, die aus den Bakterien her vorgehen, beschreibt er als „Sporen“, über die sich die Keime ausbreiten. Das würde auch erklären, warum der Milz brand jährlich erneut ausbricht: Die zä hen Sporen überdauern im Boden den Winter. Im Sommer lassen sie die Infek tion wieder aufleben, sobald Tiere auf vormals befallenen Wiesen grasen. Im Jahr 1876 veröffentlicht Koch seine Ergebnisse über den Bacillus an thracis. Er hat damit erstmals lücken

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Pioniere der Wissenschaft

LEHRSTUNDE Der bereits berühmte Robert Koch untersucht mit Mitarbeitern und Kollegen in Berlin einen Patienten

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Bakterien unter dem Mikroskop besser sichtbar gemacht werden können und die auch heute noch verwendet werden. Er befasst sich mit Desinfizierung und Sterilisierung, also damit, Geräte und Materialien im Labor von Keimen zu befreien. Mit all dem verfolgt er jetzt ei nen Feind, der jährlich für ein Viertel al ler Todesfälle in Europa verantwortlich ist: die Tuberkulose. m 24. März 1882 präsentiert Robert Koch im Hygienischen In stitut in Berlin seine Studien zum „Kochschen Bazillus“, dem Erreger der Tuberkulose. Er hat 200 Gewebe

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AUF DER SPUR DER MIKROORGANISMEN Für seine Laborarbeit wird Pasteur gefeiert – den Nobelpreis gibt es aber noch nicht

proben dabei, die für den Blick unterm Mikroskop eingefärbt sind. In den Mo naten vor seinem Vortrag hat er diese men und erkannt, dass die dünnen Stäbchen gänzlich anders aussehen als andere Bakterien. Er hat sie im Gewebe von kranken Tieren und Menschen aus gemacht und anschließend gezüchtet. Er hat damit schließlich Meerschwein chen infiziert – die nach vier Wochen erkrankten. Koch ist sich sicher, den Übeltäter hinter der Schwindsucht nun eindeutig dingfest gemacht zu haben. Sein Vortrag geht um die Welt, die „New York Times“ berichtet euphorisch.

Das Verhältnis zwischen Koch und Pasteur wird dadurch nicht besser. Ei ten sich die beiden schon länger gelie fert, in Briefen und Fachartikeln die Ergebnisse des jeweiligen Kontrahen ten skeptisch kommentiert, die Metho den des anderen hinterfragt. Im Herbst 1882 kommt es bei ei nem Kongress für Hygiene in Genf zum Showdown. Pasteur will seine Theorie über die „Abschwächung der Viren“ vorstellen. Koch sitzt im Publikum, als Pasteur ihn auf Französisch angreift. Er verhöhnt Koch wegen der Vorwürfe, die er ihm schriftlich gemacht hat. Der

Die Ausstattung Robert Koch entwickelte ein Verfahren, mit dem er Mikroben besser unter dem Mikroskop untersuchen konnte. Schon als einfacher Landarzt ließ er sich räte auf dem Markt (rechts). In Reagenzgläsern legte er Lösungen mit Krankheitserregern an, etwa von Lungenentzündung und Tuberkulose (links). Forscher wie Koch und sein französischer Konkurrent Pasteur suchten nach Erregern von Krankheiten (oben), um direkt aus ihnen Medikamente zu entwickeln.

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UMJUBELTER FORSCHER Deutsche Wissenschaftler und ausländische Forschungs gäste applaudieren Robert Koch. Illustration von 1890

Deutsche springt auf, tritt schließlich auf das Podium – um zur Verblüffung der Anwesenden zu sagen: „Ich halte es nicht für nützlich, hier auf die Atta cken des Herrn Pasteur zu antworten.“ Angeblich könnte auch ein Missver ständnis zur Verstimmung beigetragen haben. Pasteur hat auf dem Podium

mand“ verstanden hat – und damit „deutsche Überheblichkeit“. In seiner Replik Monate später trifft Koch den Franzosen empfindlich: „In der Wissen schaft entscheiden bekanntlich Tatsa chen, nicht schöne und wohlgesetzte Reden. (…) Pasteur ist eben kein Arzt.“

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persönlich auf den Weg nach Ägypten. Auf der Jagd nach dem Cholerakeim hat er seine festen Nährmedien, Mi kroskope und 50 Mäuse im Gepäck, berichtet Christoph Gradmann, Autor des Buches „Krankheit im Labor“. Am 17. September 1883 schreibt Koch in ei nem Bericht, dass er den Keim im Darm von Patienten gefunden hat. Aber noch kann er ihn nicht züchten oder ein Tier zu Testzwecken damit anstecken. Der Beweis der Schuld dieser Mikrobe steht also weiterhin aus. Einen Tag später wirft der drama tische Tod des französischen Forschers Louis Thuillier einen Schatten auf die Arbeit: Der 27 Jährige hat sich bei

der Arbeit selbst mit der Cholera an gesteckt. Die Deutschen nehmen am Begräbnis teil, bringen Lorbeerkränze mit. Eine Geste der Versöhnung. Von Ägypten aus reist Koch spä ter weiter nach Indien, wo die Cholera ihren Ursprung haben soll. Dort sam melt der Deutsche weitere Hinweise, dass Vibrio cholerae der Auslöser der Krankheit ist: Er identifiziert das Kom ma Bakterium eindeutig im Darm von Patienten, kann es kultivieren, wenn gleich ihm auch keine überzeugenden Tierversuche gelingen. Er findet auch einen Infektionsweg: Die Einheimi schen trinken aus Gewässern, in denen Wäsche von Cholerapatienten gereinigt wird. Andere Forscher zweifeln zwar noch. Dennoch: Als Koch und seine Mannschaft im Mai 1884 in die Heimat zurückkehren, titelt ein Berliner Blatt „Willkommen, Ihr Sieger“. Doch nun hat die Choleraepidemie auch Frankreich erreicht. Und Koch reist an: Wo das Bakterium ist, da will auch er sein. In Toulon stellt er fest, wie schlecht die hygienischen Zustän de sind. Pasteur ist empört, dass aus gerechnet dieser Preuße vor Ort ist. Seine Mitarbeiter hetzt er gegen Koch auf: „Lassen Sie sich nicht einwickeln und wickeln Sie sich nicht selbst ein, in dem Sie ihm bei jeder Gelegenheit Ihre Präparate und Ihre Kulturen bringen.“

reunde werden die beiden For scher nicht mehr – auch wenn sie beide dafür brennen, die Men schen von Seuchen zu befreien. 1883

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köpfe wieder aneinandergeraten lässt. Die Durchfallerkrankung hat Ägyp ten im Griff. Ein kommaförmiges Bakte rium steht seit Jahren in Verdacht, der Auslöser zu sein. Sowohl das Deutsche Reich als auch La Grande Nation ent senden Delegationen nach Nordafrika. Die Presse in beiden Ländern verlangt von den eigenen Forschern: Sie sollen die mikrobiologische Vorherrschaft des eigenen Landes unterstreichen! Während Pasteur seine Mitarbeiter schickt, macht sich der jüngere Koch

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GROSSE EHRUNG An seinem 70. Geburtstag feiert die akademische Welt Louis Pasteur für seine Entdeckungen. Zum Festakt kommt es 1892 in der Sorbonne

Pioniere der Wissenschaft

in Jahr später, 1885, wird Pasteur durch seine Tollwutimpfung in Frankreich zum Nationalhelden. Er erhält Fördermittel und kann seine eigene Forschungseinrichtung eröff nen: Das Institut Pasteur, das auch heu te noch einer der weltweit führenden Orte für medizinische Forschung ist. Um Koch bleibt es fünf Jahre eher ruhig. Er will nachziehen und ein Mit tel gegen die Tuberkulose finden. Am 4. August 1890 lüftet er das Geheimnis seiner jüngsten Forschung, vor Tausen den Gelehrten im Circus Renz. Er redet umständlich von „Substanzen“, die er an Meerschweinchen getestet hat. Der „Krankheitsprozess“ sei bei den Tieren zum Stillstand gekommen. Koch ist sich bewusst, dass die Ergebnisse nur vor läufig sind. Aber die Presse akzeptiert die leisen Töne nicht, das Mittel kommt nach Versuchen an höchstens 50 Patien ten im November 1890 auf den Markt. Aus aller Welt reisen Kranke nach Ber lin, um sich behandeln zu lassen mit dem Mittel, das „Kochsche Lymphe“ ge nannt wird, später „Tuberkulin“. Koch gibt nicht preis, was in der Flüssigkeit enthalten ist, versendet aber Proben an andere Mediziner. Sogar Pasteur erhält zwei Fläschchen. Kochs Kritiker beschreiben drasti sche Nebenwirkungen bei Patienten, denen sie die bräunliche Flüssigkeit inji ziert haben: hohes Fieber, Schüttelfrost, Schläfrigkeit bis hin zum Koma und an der Einstichstelle Hautreaktionen. Eine 1891 veröffentlichte Auswer tung von Behandlungen mit mehr als 1700 Kranken ist vernichtend: Nur we nige Tuberkulosepatienten gelten als geheilt. Koch steht als Scharlatan da. Notgedrungen deckt er seine Rezeptur auf: Es ist ein Extrakt aus Tuberkelba zillen in Glyzerin. Das Mittel sollte die Bakterien nicht unmittelbar töten, son dern das Gewebe um sie herum – sodass sie „aushungern“. Die Fachmeinung: Tuberkulin wurde zu wenig getestet. Doch trotz all der Kritik hat Koch noch gewichtige Befürworter. 1891 wird er Direktor am neu geschaffenen

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krankheiten, das heute nach ihm be nannt ist – wenngleich ihm das Mi

AUF REISEN 1896/97 forscht Koch im südafrikanischen Kimberley. Er arbeitet auch in Ägypten und Indien

nisterium harte Auflagen stellt: Alle Einnahmen, die auf Kochs Erkenntnis sen beruhen, gehören dem Staat. Dabei hatte der Forscher geplant, mit Tuber kulin reich zu werden. Bis kurz vor sei nem Tod 1910 forscht er weiter daran. Robert Koch erhält 1905 den Nobel preis in „Anerkennung seiner Untersu chungen und Entdeckungen im Bereich der Tuberkulose“. Der große Pasteur hat keine Gelegenheit mehr zu Neid – zu diesem Zeitpunkt ist er schon zehn Jah re tot. Verdient hätte der Franzose den Preis auch gehabt. Schließlich entdeck te er den Weg für Impfstoffe aller Art. Und dafür, dass Nahrungsmittel wie Wein, Milch, Bier mit „Pasteurisieren“ haltbarer werden. Ein Vermächtnis, das Pasteurs Schüler Alexandre Yersin, der den Pesterreger entdeckte, oder Émile Roux erfolgreich angetreten haben.

Aber auch Kochs ehemalige Mitar beiter prägen die Medizin weiter. Unter

ring. In dieser Generation entstehen so Lagern: Roux und Behring forschen gemeinsam an Heilmitteln gegen die Diphtherie und freunden sich an. Der Franzose wird Pate des ersten Kindes des Deutschen. Eine Geste, wie sie zwi schen Pasteur und Koch nicht denkbar gewesen wäre. Und doch haben die Streithähne gemeinsam den Tod un zähliger Menschen verhindert.

Christiane Löll ist Medizinerin und hat im Studium viel über Mikrobiologie gelesen. Ihre Tollwutimpfung will sie nun lieber noch mal auffrischen.

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237 Seeleute der britischen Kriegsmarine, sechs Wissen schaftler, dreieinhalb Jahre Zeit und 70000 Seemeilen Strecke: Das sind die Eckdaten der ersten ozeanografischen Expedition aller Zeiten. Die Fahrt der „HMS Challenger“ gilt wegen ihrer Pionierleistungen auch als das „Apollo-Projekt“ des viktorianischen Zeitalters. Mehr als 10000 Pflanzen und runter diese Steinkoralle von der Molukkeninsel Ambon.

LABOR MIT MEERBLICK In umge bauten Kanonenbuchten im Bauch der „Challenger“ untersuchten die Forscher ihre Funde

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Die Mission

Neuland am Meeresgrund Es ist ein neuartiges Vorhaben, zu dem die „HMS Challenger“ im Dezember 1872 vom englischen Sheerness aus aufbricht: Vermessung einer bislang unbekannten Welt – im Ozean ie Dunkelheit kommt mit tropischer Schnelligkeit, als die „HMS Challenger“ am 23. Februar 1875 in der Humboldt-Bucht im Norden Neuguineas vor Anker geht. Rufe dringen von den pyramidenförmi gen, auf Pfählen errichteten Strandhüt ten herüber. Sechs Männer springen in zwei Kanus und rudern auf die britische Korvette zu. Sie gleiten längsseits und begutachten die fremden Weißen im

Schein glimmender Holzscheite. „Si gor! Sigor!“, rufen sie nach oben. Die britischen Matrosen glauben zu verste hen und lassen ein paar Zigarren in ei ner Kokosnussschale an der Bordwand herab. Erst am nächsten Tag werden sie erfahren, dass „Sigor“ bei den Papua, den Einwohnern Neuguineas, das Wort für „Eisen“ ist. Langsam nähern sich die beiden Boote einer der Kanonenluken im Zwischendeck. Doch dahinter ist kein schweres Geschütz untergebracht, son

ROTE KORALLE Konserviert in Al kohol sandten die Forscher Tausende Lebewesen schon von unterwegs nach Edinburgh, ins „Challenger-Büro“

IM TIEFSTEN SÜDEN Ein einziges Mal auf ihrer Route, südwestlich von Australien, kam die „HMS Challenger“ dem antarktischen Kontinent nahe. Die Fahrt zwischen Eisschollen und Eisbergen, hier in einem zeitgenössischen Holzschnitt dargestellt, wurde auch vom Bordfotografen erstmals festgehalten

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Von Jens Schröder

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dern ein Laboratorium: der Arbeits raum des 27-jährigen Zoologen Rudolf von Willemoes-Suhm, der die rätselhaf te Szenerie gespannt beobachtet. Als einer der Papua die Glut sei ner Fackel zur Flamme anbläst, kann der Zoologe die Ruderer genau erken nen: „völlig nackte Wilde mit riesigen Schweinshauern in den Nasenlöchern, Perücken aus Kasuar-Federn und Krän zen roter Hibiskusblüten“, notiert er. Nirgendwo auf seiner Weltreise

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argwöhnisch, fast schon feindselig empfangen wie hier auf Neuguinea. Doch wie sollen die Papua auch ahnen, dass die Royal Navy, die mächtigste Kriegsmarine der Welt, ihr Schiff über alle Ozeane geschickt hat, um nichts anderes zu erobern als – Wissen? Die 237 Soldaten an Bord haben scher dreieinhalb Jahre lang um die Erde navigieren und dabei unterstüt zen, alles über die Weltmeere heraus zufinden. Die Wissenschaftler sollen die Beschaffenheit der unterseeischen Böden erkunden und die Tiefe in den großen Ozeanbecken ausloten, von de nen noch immer die Rede geht, sie seien entstanden, als der Mond sich einst von der Erdkugel abgetrennt habe. Sie sollen das Wasser der untersten Schichten erforschen, das die Gelehr ten über lange Zeit für so dicht hielten, dass versunkene Kanonenkugeln und ertrunkene Seeleute den Grund nie mals erreichen würden. Sie sollen die Strömungen erkunden, denen schon vage ein Einfluss auf das Weltklima zu geschrieben wird. Und sie sollen Tiere aus weit mehr als 500 Meter Tiefe ans Licht holen – Lebewesen, die einer noch immer einflussreichen Lehrmeinung zufolge gar nicht existieren dürften. Eine schwimmende Akademie hat da in der Humboldt-Bucht festgemacht. Dies ist das erste Großvorhaben der

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KRIEGER inseln trafen die Wissenschaftler auf eine fremde, exotische Kultur

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Grundlagenforschung, eine Art „Apol lo-Projekt“ der viktorianischen Zeit, fi nanziert mit 171 000 Pfund Sterling von der britischen Regierung – etwa 15 Mil lionen Euro nach heutigem Wert. Eine

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Den Zapfhahn für den Alkoholtank kann nur der Chef aufschließen Expedition in einen unsichtbaren Teil der Erde, der nur mit Netzen, Thermo metern und Senkblei begreifbar wird. Als die „Challenger“ in der Hum boldt-Bucht Anker wirft, ist es bereits 810 Tage her, dass der 14 Jahre alte Dreimaster der Royal Navy aus dem

TREFFEN ZWEIER WELTEN In der Humboldt-Bucht im Norden Neuguineas wurde die „Challenger“ von Einheimischen in Kanus empfangen (Originalfotografie von 1875)

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Dock von Sheerness in Südengland auslief. Die Route, die sich die Wis senschaftler ausgesucht haben, misst knapp 70 000 Seemeilen: Von England soll es zunächst über den Atlantik nach Kanada und Brasilien gehen, dann in Richtung Südosten zum Kap der Gu ten Hoffnung. Von dort in die „Roaring Forties“, die berüchtigten 40er-Breiten grade der Südhalbkugel, wo nur hart gesottene Robbenjäger auf sturmum tosten Archipelen ihre Stützpunkte unterhalten. Dann hinunter zur südli chen Eisbarriere. Weiter über Australi en, Japan und die pazifischen Inseln zur Magellanstraße, und mit einer weiteren Atlantiküberquerung nach Hause. Das alles muss friedlich ablaufen: Denn 20 der ursprünglich 22 Kanonen an Bord sind aus dem Bauch der „Chal lenger“ entfernt worden, um Platz zu schaffen für die Unterkünfte der For

scher, ein kleines chemisches Labor und eine biologische Werkstatt mit einer gigantischen Arbeitsplatte, einer Pflan zenpresse und von der Decke hängenden Tischen – auf denen die Präparate sel tener Meerestiere auch beim stärksten Seegang sicher liegen. Die Mikro skope sind am Werktisch festgeschraubt. Aus einem Tank hinter der Labor wand werden im Laufe der Reise mehre re Tausend Gallonen hochprozentigen Alkohols in 10 000 Gläser, Flaschen und Schalen fließen, um die Beute der For scher zu konservieren. Der Zapfhahn ist abschließbar, der Schlüssel befindet sich am Schlüsselbund des Expeditions leiters, Wyville Thomson. Der bärtige Professor aus Edinburgh weiß genau, dass ein Tank voller Spiritus auf See reisen für fast jeden Matrosen zu einer großen Versuchung werden kann. Wyville Thomson und seine fünf Kollegen gelten bei der übrigen Mann schaft bald als seltsame Figuren. „Die

Sachen Wantenspanner, Ösen und Tau

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KLEINARBEIT Die Mikroskope der Forscher waren wegen des Seegangs am Tisch festgeschraubt

werkstropp leider klägliche Mängel aufweist“, so Thomson später in seinem Bericht. Und weil die „Philosophen“ keine seefesten Mägen haben: Als die „Challenger“ noch im Ärmelkanal in schweres Wetter kommt und riesige Brecher ihre Gischt bis in den Maschi nenraum drücken, verlassen die For scher fluchtartig das Schiff. An Land lösen sie Bahnfahrkarten nach Ports mouth, wo sie unter dem kaum verhoh lenen Gespött der Crew wieder an Bord kommen, um nun zum zweiten Mal mit ihrer Weltumseglung zu beginnen. ber südlich von Teneriffa ver schaffen sich die sechs Männer Respekt – als sie mit der Ar

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stand kommen. Dann hat das Kolbenlot den Grund erreicht, bei 1500, 2000, 3150 Faden (5760 Meter). Die an der Lotleine befestigten Spezialthermome ter registrieren die Wassertemperatur in der Tiefe – doch nicht präzise genug, wie sich später herausstellen wird: Die eingravierten Skalen lassen sich kaum auf ein viertel Grad genau ablesen. Unter der Masse der Gewichte bohrt sich jedes Mal ein Metallrohr etwa

GENIAL Metallkugel sinkt zum Meeresgrund, Rohr bohrt sich in den Boden, Gewicht wird abge

ablagerungen auf: 10 000 Jahre alten roten Ton zum Beispiel. Oder Schlamm mit fossilen Überresten von Kleinstle bewesen, die seit zwei Millionen Jahren ausgestorben sind. Oder Schlick, in dem die Biologen an Bord astronomische

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wird ohne Ballast hinaufgezogen

den die Segel eingeholt. Während Position und mit dem Bug gegen die See hält, werfen Matrosen eisernen Gewichten beschwer ten Lotleinen über die Reling. sches Hanfseil liegen für sol che Messungen bereit. Mit den gewonnenen Daten soll endlich eine systematische Kartografie der Becken und Rücken am Meeresboden begründet werden – wichtige Informati onen etwa für das Verlegen von Telegra fenkabeln zwischen den Kontinenten. Es dauert oft mehr als eine Stunde, bis die schweren Trommeln zum Still

VULKANSAND Auch an Land wur den Proben genommen – hier ein Döschen mit Sand aus dem Krater des indonesischen Banda Api

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gesunkene winzige Planktontierchen, deren filigrane kugel , glocken oder sternförmige Skelette aus Kieselsäure erst unter dem Mikroskop sichtbar werden. 3500 bislang unbekannte Arten dieser kleinsten Schöpfungs wunder werden später im Expedi tionsbericht beschrieben und in Tu sche gezeichnet sein. 34 eiserne „Dredge Apparate“, Scharrnetze, lässt die „Challenger“ Crew immer wieder über den Grund schaben. Aus bis zu 5700 Meter Tiefe befördern die schweren Geräte – von de nen einer der Schiffsstewards schreibt, sie sähen aus wie „ Schweinströge mit unbekannte

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Neues im Netz Seeleute entleeren den Inhalt einer Baumkurre auf das

PROBE Diese Seefedern sammelten die Forscher vor der Philippineninsel Mindanao

zende solcher Scharrnetze waren auf der Forschungsreise im Einsatz. Sie durchpflügen den Meeresboden, sammeln Schalentiere und Muscheln ein und scheuchen andere Lebe wesen auf, zum Beispiel Platt fische. Für die Schwerstarbeit beim Einholen dieser Apparate spendierte der Kapitän allen Beteiligten regelmäßig eine schaftler an Bord kamen aber meist erst aus ihren Kajüten und Arbeitsräu men unter Deck, wenn die Beute ausgebreitet auf den Planken lag. Dann begannen sie mit ihrer eigenen Schwerstarbeit: dem Entdecken bislang unbekannter Lebewesen.

Lebewesen ans Tageslicht. Die Matro sen hieven die Netze oft erst bei Ein bruch der Dunkelheit in stundenlanger Arbeit wieder aufs Mitteldeck. Jeweils 40 Seeleute sind mit dem „dredgen“ beschäftigt – sie nennen es schon bald „drudgen“: abrackern. Der Kapitän weiß, dass die Sonderschichten nicht beliebt sind; er spendiert deshalb nach jedem Netz ein drittel Pint (0,2 Liter) arbeit beteiligt waren. Die Wissenschaftler bleiben meist unter Deck bei ihren Büchern. Erst das Signal „Dredge is up!“ ruft sie auf den Plan: Dann stürmen sie mit Pinzetten und Sieben auf die Mittelbrücke und machen sich bei Laternenschein über den Schlamm her, der auf die sauberen Planken gekippt wird. Die Mannschaft betrachtet die For scher auf dem Mitteldeck mit einer Mischung aus Bewunderung und Un verständnis. Immerhin kommt in den Netzen oft Bemerkenswertes an Bord: Tiefseefische mit hörnerartigen Aus wüchsen; sonderbare Glasschwämme

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mit Skeletten aus purem Quarz; Tiere mit Augen an verschiedenen Körper stellen; Krustazeen, die keine Sehorga ne haben, weil ihr Gesichtssinn im Dun kel der Tiefe durch Fühler ersetzt ist. Die Forscher untersuchen Geschöp fe, die noch nie zuvor von Menschen gesehen worden sind. Bei besonderen

Licht schwankender Funzeln, ziehen Schlüsse auf Fortpflanzungsweise und Ernährung der gefundenen Lebewe sen, ordnen sie in Familien, Ordnungen und Klassen, legen sie in Spiritus oder Salzlake ein, beschriften sie mit Datum, Längen und Breitengrad des Fundorts und verpacken sie schließlich in Kisten.

Exotische Souvenirs: Funden, so beobachtet der Steward, „sind die Forscher hochgestimmt, tra gen sie runter ins Labor, trinken dort einige Flaschen Champagner und tau fen ihre neue Trophäe auf einen Namen mit etwa 40 Buchstaben“. Eine dieser Trophäen wird der ganze Stolz des jun gen Willemoes Suhm: ein zehnfüßiger, blinder Tiefseekrebs, der bis heute den Namen Willemoesia leptodactyla trägt. nografen erst richtig los: Sie sezieren, mikroskopieren, zeichnen im trüben

Denn von Bermuda, Halifax, Syd ney, Hongkong und Yokohama schickt das Team insgesamt 5000 Flaschen und Krüge mit anderen Schiffen zurück nach Edinburgh, wo sie von dem ei Büro“ an Europas renommierteste Experten zur Begutachtung versendet werden. Eine effiziente und sichere Methode der Arbeitsteilung, wie Thomson später zu frieden feststellt: „Nur vier der Gefäße sind zerbrochen, keines der eingelegten Objekte ist verloren gegangen.“

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ATLANTIK-SEDIMENT Eine Probe von „Station 5“ der Reise, genommen nahe Teneriffa, Kanarische Inseln

BODENSATZ Blauer Schlamm von „Station 306“ (Patagonien) aus 631 Meter

ZEUGNISSE Die Fahrt der „Challenger“ nant Pelham Aldrich minutiös Tagebuch

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farben illustriert hat

Auch an Bord der „Challenger“ ver dichten die Ozeanografen ihre Daten zu neuen, ungewöhnlichen Thesen. Dass sich der Atlantik in ein östliches und ein westliches Becken teilt, die ein hoher Rücken trennt, ist der Forschung zwar bekannt – aber wie kommt es, dass am Meeresgrund das Wasser im Südosten drei Grad Fahrenheit wärmer ist als im Südwesten? Die Antwort der „Challen ger“-Forscher: Der Rücken muss sich wie ein lang gestreckter Gebirgszug ohne eine einzige tiefe Schlucht durch den Atlantik erstrecken; die tiefer lie genden Wasserschichten sind also nicht miteinander verbunden, vermischen sich nicht oder nur langsam. Spätere Forscher werden mithilfe moderner Messgeräte diese These bestätigen. n Land sind die Forschungen nicht ganz so ergiebig. Die Wis senschaftler verbringen zwar knapp die Hälfte der Reise auf Inseln und an Küsten, doch lassen sie sich dort von ihren gesellschaftlichen Verpflich tungen so sehr in Anspruch nehmen,

dass sie zu ernsthafter Forschung wenig Zeit haben. Holländer, Franzosen, Por tugiesen, Spanier und Briten haben in fast jedem Winkel der Erde Gouverneu re und Handelsvertreter. In den meisten Häfen wird die berühmte Expedition mit Galadiners, mit Kricketspielen und mit Gartenpartys empfangen. Könige müssen über das Schiff geführt werden, Häuptlinge und Ge -

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RUDOLF VON WILLEMOES-SUHM Den Aufzeichnungen des Biologen verdanken wir unzählige Details

schäftsleute kommen zu Besuch, fei ne europäische Damen wollen kurze Ausflugsfahrten unternehmen, und die Bordkapelle spielt zum Tanz. Rudolf von Willemoes-Suhm durch stöbert in jeder freien Stunde die exoti schen Märkte nach Souvenirs. In Bahia erwirbt er Kolibris als Hutschmuck für die Schwestern daheim. Auf Madeira kauft er sich von Seeleuten einen grau en Papagei. In Kapstadt erwirbt er einen „Kaffer“ als Diener, der aber in Hong kong an einer Lungenentzündung er krankt, „von der er sich wohl schwerlich wieder erholen wird“, wie der Wissen schaftler seiner Mutter mitteilt: „Dage gen ist der Papagei wohl und gedeiht vorzüglich.“ Doch bei aller Zerstreuung verges sen die Forscher bei keinem Stopp das „Zoologisieren“ und „Botanisieren“. Sie besteigen Vulkane, lassen sich durch Urwälder führen, betäuben Paradies vögel mit stumpfen Pfeilen, vergiften Pinguine im Namen der Wissenschaft und nutzen die gerade aufgekommene Fototechnik, um auf den Kapverdischen

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Pioniere der Wissenschaft

Inseln einen seltenen „Negeralbino“ abzulichten und an der Packeisgrenze schwimmende Eisberge. Doch es ist ein Tag, an dem die For scher überhaupt nichts Neues finden, der bei Willemoes-Suhm den tiefsten Eindruck hinterlässt: eben jener Abste cher in die Humboldt-Bucht von Neu guinea, der den Besuch der sechs rätsel haften Kanufahrer nach sich zieht. ieser 24. Februar 1875 ist wohl der einzige Tag auf der Fahrt der „Challenger“, an dem das Team noch einmal etwas von der zu Ende ge henden Ära der abenteuerlichen See reisen und Entdeckungsfahrten spürt, von den Ungewissheiten und Gefahren am Rande der kartografierten Welt. Es ist eine letzte Erinnerung an Reisen wie die des James Cook, der 100 Jahre zu vor die Südsee als Erster systematisch erkundet hatte und den die Bewohner des von ihm entdeckten Hawaii-Archi

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pels zunächst für einen Gott gehalten hatten – ehe sie ihn töteten. Bei Sonnenaufgang umgeben 70 Ka nus mit mehr als 300 heftig gestikulie renden Männern die „Challenger“. Die Einheimischen tragen Bögen und mit

Ein Handel kommt in Gang, bei dem die Papua vor allem kunstvoll gearbei tete Äxte aus poliertem Melaphyrstein zum Tausch anbieten – gegen rostige Tonnenbandringe und weiche, eigens für den Handel mit Naturvölkern pro -

„Buchanan und mir prickelte der Rücken bei der Nähe des Pfeils“ Widerhaken besetzte Pfeile. Haben sie die Waffen zum Töten oder Tauschen mitgebracht? Die Forscher sind ratlos. Die perforierten Tritonmuscheln, auf denen die Papua dumpfe Töne blasen, scheinen so etwas wie Kriegs trompeten zu sein. Spontan hält Wille moes-Suhm den Balg eines Paradiesvo gels in die Luft – und sofort beginnen die Papua, für das Tier zu bieten, halten Le bensmittel und Schmuck aus Schweins zähnen und Bohnen in die Höhe.

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duzierte Beile: Hauptsache, die Tausch waren sind aus „Sigor“, aus Eisen. Doch als die Wissenschaftler landen wollen, um ihre eigentliche Arbeit zu verrichten, schlägt die Stimmung um: Ein Papua ergreift das Dollbord eines Beiboots der „Challenger“, zielt mit halb gespanntem Bogen auf die Wissen schaftler und fordert Geschenke. „Dem Chemiker Buchanan und mir prickelte der Rücken bei der Nähe des Pfeils“, schreibt Willemoes-Suhm später.

Die Route Fast 70000 Seemeilen legte die „Challenger“ zwischen 1872 und 1876 zurück. Von England aus über den Atlantik nach Kanada und Brasilien, dann in Richtung Südosten zum Kap der Guten Hoffnung. Weiter zur südlichen Eisbarriere, von dort über Australien, Japan und die pazifischen Inseln zur Magellanstraße, und mit einer weiteren Atlantiküberquerung nach Hause. Die Crew machte dabei 374 Tiefseelotungen und brachte 240-mal die Schlepp netze aus.

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BODENKUNDE Mit Temperatur messungen beider seits des Mittelat lantischen Rückens studierten die Forscher dessen Beschaffenheit KAPITÄN Der erfahrene George Strong Nares

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ZWISCHENSTOPP Die „Challenger“ an der Mole von Gibraltar

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Den Forschern bleibt nichts ande res übrig, als zurück zum Schiff zu ru dern. Den Einheimischen überlassen sie eine Botanisiertrommel, darin et was Schmetterlingspapier, eine Pfeife und eine Flasche Sodawasser. „Die mag den Herren Wilden einen hübschen Schrecken eingejagt haben, als der Pfropfen aufsprang“, tröstet sich Wil lemoes-Suhm. „Wir werden diesen Tag wohl noch lange als den merkwürdigs ten unseres Lebens anzusehen haben.“

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Ethnologie

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ren keine Ethnologen, aber wie hier auf den Fidschi-Inseln illustrierte der Expeditionsteil nehmer John James Wild auch das Leben von Ureinwohnern, etwa im Dorf Ngaloa Kandan.

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TRADITION Auch Ritual-Tänzer wurden im Kostüm dokumentiert

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abei haben die Männer erst

tion hinter sich: Noch 421 Tage wird die „Challenger“ unterwegs sein, Japan, Valparaíso, Montevideo und die Ascension-Insel anlaufen; und dann ein drittes Mal den Atlantik queren. Im spanischen Hafen Vigo liegt die britische Kanalflotte vor Anker, als der Dreimaster am 20. Mai 1876 dort ein läuft; zur Begrüßung spielt eine Kapelle „Home! Sweet Home!“. Am 24. Mai 1876 segelt das Forschungsschiff bei klarem Wetter in den Ärmelkanal und ankert um neun Uhr abends in Portsmouth. Vermutlich denkt keiner der Heim kehrer an jenem Tag daran, dass die ei gentliche wissenschaftliche Arbeit nun erst beginnt. Ein Expeditionsbericht in 50 großformatigen, in grünes Leder ge bundenen Bänden wird nach und nach alle Daten und Ergebnisse der Fahrt zusammenfassen. Insgesamt werden über 19 Jahre 29 552 Seiten publiziert, verfasst von mehr als 70 Fachleuten in aller Welt, illustriert von Lithografen, Zeichnern und Kupferstechern, die das Schiff nie gesehen haben. Messdaten von 362 Forschungssta tionen und Untersuchungen an mehr als 10 000 gesammelten und präparier ten Pflanzen und Tieren sind in den Be

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fischen Dichte des Tiefenwassers etwa. Beiträge über die Zusammensetzung des Meersalzes, die weltweit fast iden tisch ist. Aufsätze über die Petrologie abgeschiedener Inseln und über die Chemie der faustgroßen Manganknol len, die den Boden in manchen Regio nen des Südpazifik wie eine Decke aus metallenen Warzen überziehen.

Aufsehen erregt ein Traktat über den Bathybius – jenen legendären Tief see-Urschleim, in dem der britische Ge lehrte Thomas Huxley wenige Jahre zu vor den Ursprung allen Lebens auf der Erde ausgemacht zu haben glaubte. Das Fazit der „Challenger“-Expedition: Es gibt den Bathybius in der Tiefsee über haupt nicht – der Schleim entsteht erst als Ablagerung im Reagenzglas. Die Fahrt der „Challenger“ ist die größte Expedition ihrer Zeit, das kost

Der Name Die „Challenger“ ist eines der historischen Schiffe, nach de nen die NASA ihre Spaceshut tle benannte. „Endeavour“ und „Discovery“ etwa waren die Segler des Entdeckers James Cook im 18. Jahrhundert.

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spieligste Großforschungsprojekt der gesamten viktorianischen Epoche. Sie begründet die Wissenschaft der Ozea nografie – und inspiriert in den Folge jahren zahlreiche weitere Expeditio nen, die auf dem gesammelten Wissen aufbauen, allen voran die Fahrt des deutschen Seglers „Gazelle“ 1874. Rudolf von Willemoes-Suhm al lerdings erlebt den Erfolg seiner For schungsreise nicht mehr: Auf der Fahrt von Hawaii nach Tahiti erkrankt er an einer Wundrose und fällt am 11. Sep tember 1875, seinem 28. Geburtstag, ins Delirium; zwei Tage darauf stirbt er. Alle Offiziere sind in ihrer vollen Uniform angetreten, als sie den Leich nam des Deutschen am 14. September beisetzen. „Ein plötzliches Aufspritzen, und alles ist vorbei“, notiert der Schiffs ingenieur. Kurz darauf geht auch wie der die Lotleine über Bord: Das Blei sinkt bis auf 2650 Faden.

Jens Schröder ist der Redak tionsleiter von P.M. HISTORY und hat sich schon häufig mit Forscherpersönlichkeiten des 19. Jahrhunderts befasst.

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MANN AUS DER KÄLTE Seine Liebe hängnis: Er starb 1930 in Grönland

Pioniere der Wissenschaft

… und sie bewegen sich doch!

Als der Polarforscher Alfred Wegener 1912 behauptet, die Erdplatten würden sich verschieben, verspotten ihn fast alle Geologen . Erst nach

seinem Tod wird klar: Er hatte recht Von Matthias Lohre

lles beginnt mit einem aufgeschlagenen Buch, ei nem neugierigen Blick und einem Gedanken. „Sehen Sie sich doch bitte mal die Weltkarte an“, sagt Alfred Wegener ei nem Studienfreund. Gemeinsam beu gen sie sich über einen Atlas. „Passt nicht die Ostküste Südamerikas genau an die Westküste Afrikas, als ob sie frü her zusammengehangen hätten?“ Die Frage lässt Wegener nicht mehr los. Waren die Kontinente tatsächlich einmal miteinander verbunden? Kön nen sich so gewaltige Landmassen überhaupt bewegen? Und wenn ja: wie und warum? Als Wegener im Jahr 1910 solche Fragen aufwirft, haben bereits Gene rationen von Naturforschern nach Ant worten gesucht. Doch hervorgebracht haben sie bloß Theorien ohne Belege. Auch Wegener ist kein Experte auf dem Gebiet, aber neugierig, intelligent und willensstark. Über Jahre wird er nach einer Lösung für das alte Rätsel suchen. Was er herausfindet, wird unseren Blick auf die Erde – im Wortsinne – von Grund auf verändern. Der Pionier selbst wird den Triumph seiner Theorie nicht mehr erleben. Seinen Forscherdrang bezahlt er vorher schon mit dem Leben. Alfred Wegener, 1880 im boomen den Berlin geboren, ist Kind seiner wis senschafts- und fortschrittsgläubigen Epoche. Als junger Meteorologe stellt

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er 1906 mit seinem Bruder einen Luft fahrtrekord auf. Frierend und hungrig gondeln die beiden 52 Stunden lang ohne Zwischenlandung in einem Heiß luftballon – länger als jeder Mensch zu vor. Kurz darauf reist Wegener mit einer dänischen Expedition für zwei Jahre ins noch unerschlossene Grönland. Ein Begleiter beschreibt den Deutschen als „schweigsamen Mann mit dem liebens würdigsten Lächeln auf dem Antlitz“. Wegener lebt für das Arbeiten unter Extrembedingungen. Seiner späteren Ehefrau lässt er aus der Kälte ausrich

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ten: „Sag Else, sie soll den Kopf nicht hängen lassen, ich bin nun einmal ein solcher Vagabund.“ nd dieser Vagabund hat den Mut, wissenschaftliche Lehrmeinun gen infrage zu stellen, wenn sie ihm nicht plausibel erscheinen. Schon 1620 wies der englische Staatsmann und Philosoph Francis Bacon darauf hin, wie gut Südamerikas östliche und Afrikas westliche Küstenlinie zusam menpassen. Auch der deutsche Natur forscher Alexander von Humboldt hat

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GEBRÜDER WAGEMUT Alfred Wegener (3. von links) im Kreis seiner Familie. Mit seinem Bruder Kurt (4. von links) verbrachte er für einen Luftfahrtrekord einmal

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flächen kann es in diesem Modell nicht geben. Die Ähnlichkeit von Südameri kas und Afrikas Küsten? Zufall. Basta! Wegener aber schert sich nicht um die Lehrmeinung. Er widersteht dem

von Buenos Aires. Das lässt sich nicht durch Landbrücken erklären! Diese Re gionen müssen einmal nah beieinander gelegen haben. Wegener wagt sich mit seiner Theorie in die Öffentlichkeit.

„Wenn wir Wegeners Theorie glauben sollen, dann müssen wir ganz von vorne anfangen“ Trend, sich auf einen Forschungszweig zu spezialisieren, und sammelt neue Beobachtungsergebnisse von Biologen, Geologen, Klimatologen und Paläonto logen. Rasch begreift er: Gesteinsfor mationen in Indien ähneln solchen in Madagaskar und Ostafrika, ein Gebirgs zug in Südafrika ähnelt einem südlich

Am 6. Januar 1912 hält er vor der Geologischen Gesellschaft in Frankfurt einen Vortrag. Kurz darauf veröffent licht er in einer Fachzeitschrift einen Artikel. Selbstbewusst schreibt er: „Überall, wo wir bisher alte Landver bindungen in die Tiefen des Weltmee res versinken ließen, wollen wir jetzt ein Abspalten der Kontinentalschollen annehmen.“ Wegeners Kernthese: Die Kontinen te liegen nicht starr auf der Erdober fläche, sondern bewegen sich. Heute getrennte Landmassen hingen vor rund 300 Millionen Jahren zusammen. Die sem uralten Superkontinent gibt er den griechischen Namen Pangäa, „Ganze Erde“. Vor etwa 200 Millionen Jahren sei Pangäa in zwei Teile zerbrochen. egener sieht die Logik auf seiner Seite: „Es ist so, als wenn wir die Stücke einer zerrissenen Zeitung nach ihren Kon turen zusammensetzen und dann die Probe machen, ob die Druckzeilen glatt überlaufen. Tun sie dies, bleibt nichts weiter übrig, als anzunehmen, dass die Stücke einst wirklich in dieser Weise zu sammenhingen.“ Neu ist vor allem, dass er die These mit Forschungsergebnissen belegen kann. Seinem Schwiegervater vertraut er an: „Ich glaube nicht, dass die alten Anschauungen noch zehn Jah re zu leben haben.“ Da irrt er sich allerdings. Angesehene Geologen schmähen Wegeners Vorstellungen als „Phantasie gebilde“, „Fieberphantasien“ und „völ lig missglückt“. Einer empfiehlt dem studierten Meteorologen, „doch künftig die Geologie nicht weiter zu beehren“.

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ARBEITEN UNTER EXTREMBEDINGUNGEN Für lange Wege auf dem Eis waren die Wissenschaftler im unerforschten Grönland auf ihre Schlittenhunde angewiesen

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FOTOS VORHERIGE SEITE: PICTURE-ALLIANCE/DPA/DPAWEB, AKG-IMAGES; FOTO DIESE SEITE: AKG IMAGES; ILLUSTRATION: SOL 90IMAGES

im 19. Jahrhundert darüber gestaunt. Aber eine fundierte Erklärung dafür hat noch niemand geliefert. Stattdessen verfechten zu Wegeners Zeit Geologen die sogenannte Kontraktionstheorie. Danach ist die Erde im Lauf ihrer Geschichte abgekühlt und dabei ge schrumpft. Gewaltige Gebirgszüge sind also nichts anderes als Runzeln auf der Erdoberfläche, ähnlich der Schale eines austrocknenden Apfels. Auch für den Umstand, dass Forscher in Südameri ka und Afrika auf Pflanzen und Tiere stoßen, die offenbar eng miteinander verwandt sind, haben die sogenannten Fixisten eine Erklärung, die ohne eine Bewegung der Kontinente auskommt: Landbrücken müssten die Erdteile einst verbunden haben, seien aber dann in den Tiefen des Atlantiks versunken. Horizontale Verschiebungen von Land -

Pioniere der Wissenschaft

Wut und Häme speisen sich auch aus der Angst der etablierten Professoren. Einer von ihnen schreibt 1923: „Wenn wir Wegeners Hypothese glauben sol len, müssen wir alles vergessen, was in den letzten 70 Jahren gelehrt worden ist, und ganz von vorne anfangen.“ Die Theorie der „Kontinentaldrift“ aber hat tatsächlich eine entscheiden de Schwäche. Sie beantwortet nicht die wichtigste Frage, die sich aus ihr ergibt: Welche gewaltige Kraft kann Erdschol len auseinandertreiben? Wegener weiß das, sucht über Jah re nach guten Erklärungen. 1929 ver öffentlicht er eine vierte Version seiner Theorie. Darin schreibt er von Bewe gungen flüssigen Gesteins im Erdman tel, sogenannten Konvektionsströmun gen. Diese, so hofft er, könnten die Ursache der Kontinentaldrift sein.

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Kurz darauf bricht Wegener zu sei ner vierten Grönland-Expedition auf. Am 1. November 1930, seinem 50. Ge burtstag, verlassen er und ein Beglei ter eine Überwinterungsstation in der Inselmitte. Sie wollen zur Küste. Es herrscht Polarnacht, er hat zwei Schlit ten und 17 Hunde, und es sind minus 37 Grad Celsius. Wegener wird sein Ziel nie erreichen. Er stirbt im Eis, vermut lich an einem Herzinfarkt.

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en Triumph seines eigenen „Phantasiegebildes“ erlebt er daher nicht mehr. Erst in den 1950er-Jahren liefern neue Untersu chungsmethoden die fehlenden Bewei se. So offenbaren Bohrkerne vom Grund des Atlantiks: Entlang des nun gefunde nen Mittelatlantischen Rückens ist der Meeresboden jünger als in entfernteren

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Gegenden. Entlang dieser gewaltigen Erdfalte entsteht also tatsächlich neu er Boden, und zwar durch Austreten von Gesteinsmasse aus dem Innern. Die Kraft, die die Kontinente bewegt, ist ge funden. Ein halbes Jahrhundert nach ihrer Veröffentlichung wird die Theorie des Außenseiters zur Lehrmeinung. Heute trägt das Institut für Polarund Meeresforschung in Bremerhaven Alfred Wegeners Namen. Auf seinem geliebten Grönland sind eine Halbinsel, mehrere Inseln und ein Berg benannt nach jenem „Vagabunden“, der die Welt von Grund auf verändert hat.

Matthias Lohre staunte darü ber, wie stark die Widerstände waren, derer sich Wegeners Theorie ein halbes Jahrhundert lang erwehren musste.

Driftende Platten auf heißem Gestein Alfred Wegener hatte recht. Heute wissen wir: Die äußerste Kruste der Erde ist im Vergleich zu ihrem Gesamtdurchmesser nur eine hauchdünne Haut. Gerade einmal 40 Kilometer weit reicht sie im Schnitt unter den Kontinenten in die Tiefe, unter den Ozeanen sogar nur fünf bis sieben Kilome ter. Und sie ist nicht durchgängig geschlossen: Sieben größere Kontinental- und zahlreiche klei nere Platten driften über den darunterliegenden Erdmantel. Mit einer Geschwindigkeit

Vor 300 Millio nen Jahren

von nur wenigen Zentimetern pro Jahr entfernen sie sich voneinander, treiben aufeinander zu oder ziehen aneinander vorbei. Die treibende Kraft sind „Konvektionsströme“ aus ge schmolzenem Gestein, das aus dem Erdinneren aufsteigt, im oberen Erdmantel abkühlt und dann Vor 163 Millionen

wieder hinabsinkt. Die Platten der Kruste bewegen sich dabei wie auf einem Laufband vorwärts. Drückt eine Platte eine andere in die Tiefe, schmilzt deren Gestein in der Hitze des Erdmantels und füttert erneut die Konvektionsströme.

Jahren Vor 250 Millionen Jahren

Vor 60 Millionen Jahren

EUROPA

LAURASIA

LAURASIA

AFRIKA AFRIKA

GONDWANA

SÜDAMERIKA

INDIEN

SÜDAMERIKA

PANGÄA ANTARKTIS

ANTARKTIS

DIE ERDKRUSTE be steht aus sieben großen und zahlreichen kleine ren Kontinentalplatten

BIS ZU ZEHN ZENTIMETER legen die Platten pro Jahr zurück IM ERDMANTEL kreisen Strudel aus flüssigem Gestein, auf denen die Platten schwimmen

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Rätsel des Lebens DIE „BEAGLE“ VOR TASMANIEN Fünf Jahre reist Darwin auf dem Schiff um die Welt – diese Erfahrung liefert die Basis für seine Evolutionstheorie

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situierten Landarzt, bereitet Charles Darwin lange Zeit Sorgen. Der Sprössling ist kein besonders aufmerksa mer Schüler, vielmehr mit Vogeljagd und Käfersammeln beschäftigt. Das Medizinstudium in Edinburgh bricht er ab, weil er die – noch ohne Narkose ausgeführten – Operationen nicht mit ansehen kann. Immerhin schließt er sein Theologiestudium in Cambridge ab. Doch da erhält er ein Angebot: Für gle“ wird ein standesgemäßer Begleiter mit naturkundlichen Vorkenntnissen gesucht. Der junge selbst ernannte Na turforscher ergreift die Gelegenheit. umsegelung sieht Darwin viel von der Natur, gräbt die Überreste längst aus gestorbener Riesenfaultiere in Süd amerika aus, entdeckt den eigenartigen Zwerg nandu in den Pampas Argentini ens, sammelt auf Galapagos die von In sel zu Insel variierenden Spottdrosseln und beobachtet in Australien das ku

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riose, wie aus einer anderen Schöpfung gefallene Schnabeltier. Nach London zurückgekehrt, füllt Darwin unablässig Notizbücher mit seinen Überlegungen, die während der Fahrt gereift sind. Mit diesen Notizen beginnt gleichsam Dar wins zweite Reise zur Erkenntnis. Nur

auf den ersten Blick mag sie weniger ereignisreich wirken als seine Ausritte gipfeln oder seine Ausfahrt mit dem Auslegerkanu zur haiumkreisten Au ßenkante eines Atolls. Doch am Ende Kopf: das „Gesetz der Natur“, den Me chanismus der Evolution, die Erkennt nis, nach der Arten voneinander ab stammen und veränderlich sind. Nicht an Bord der „Beagle“ auf lungen uns noch immer glauben ma chen wollen, hat Darwin den entschei denden Einfall, sondern als er seine Reiseaufzeichnungen sichtet und seine Funde mit anderen Naturforschern in London diskutiert. Später kann sich Darwin noch genau an die Stelle auf der Straße erinnern, die seine Kutsche passiert, als er plötzlich seine alles ent scheidende, zündende Idee hat. Es ist SPOTTDROSSELN Die Vögel aus Galapagos haben sich an die Be sonderheit jeder Insel angepasst

FOTOS: TOPHAM PICTUREPOINT/UNITED ARCHIVES, CPA MEDIA/PICTURE-ALLIANCE, WIKIMEDIA COMMONS, MARY EVANS/NATURAL HISTORY MUSEUM/INTERFOTO

Die Natur: unbegreifliches Wunder der Schöpfung? Im 19. Jahrhundert entzaubern Biologen diese verklärte Sicht auf die Umwelt. Mit Scharfsinn Von Matthias Glaubrecht und Kühnheit . Fünf Porträts mutiger Vordenker

Ende September 1838, Darwin liest „zufällig zur Unterhaltung“, wie er spä ter schreibt, einen Essay des britischen Philosophen und Ökonomen Thomas Robert Malthus. Als er sich in den Text über die Besiedelung der Erde durch den Menschen vertieft, denkt er über den allgegenwärtigen Kampf ums Da sein nach. Und erkennt, dass durch die Konkurrenz untereinander „günstige Abänderungen dazu neigen, erhalten zu werden, und ungünstige, zerstört zu werden. Das Resultat hiervon würde die Bildung neuer Arten sein.“ Wie viele Zeitgenossen weiß auch Darwin, dass Tiere stets mehr Nach kommen zeugen, als die Umwelt dau erhaft ernähren kann. Jetzt erkennt er, dass es die dynamische, aber ziellose

Charles Darwin (1809–1882) Natur selbst ist, die eine Auslese trifft. Wer unter den vielen Nachkommen am besten angepasst ist, überlebt. Oft reicht ein winziger Vorteil, eine besondere Ei genart, die dann wieder an die eigenen Nachkommen genetisch weitergegeben wird, sich in die Zukunft fortschreibt. Zwar habe die Idee der natürlichen Selektion bei ihm ein ekstatisches Ge

fühl ausgelöst, so Darwin. Doch er jubi liert nicht und erzählt seine Gedanken lange niemandem – zu sehr widerspre chen sie doch der Lehrmeinung von der

ne Idee reifen. Erst 1842 verfasst er dazu einen 35 seitigen Essay, den er später zu einem 230 Seiten langen Manuskript erweitert. Beinahe zwei weitere Jahr zehnte vergehen, bis Darwin dieses zu seinem epochalen Werk „Über die Ent stehung der Arten“ ausarbeitet. Als es 1859 erscheint, macht es den ohnehin berühmten Zoologen zum wohl bedeu tendsten Naturforscher aller Zeiten. Seine Theorie der Evolution durch natürliche Auslese entfaltet erst Jahr zehnte nach seinem Tod im April 1882 ihre epochale Wirkung. Doch wie kaum eine andere hat Darwins Idee schließ lich unsere Weltsicht und unser Denken über die Natur verändert. DURCHBRUCH In sein Notizbuch skizziert Darwin 1837 unter der Überschrift „Ich denke“ den ersten Stammbaum der Arten

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eit Stunden halten Fieber anfälle den schweißüber strömten Mann auf seiner Holzpritsche in der mit Pal menblättern gedeckten Hüt te gefangen. Oft schon haben ihn solche Fieberschübe bei seinen jahrelangen Reisen durch die feuchtheißen Tropen geplagt. Erst während der vier Jahre, als er am Amazonas und am Rio Negro Tiere und Pflanzen Südamerikas er forscht hat; und jetzt bei seinen ausge dehnten Expeditionen durch die indomalaiische Inselwelt. Inzwischen kennt er den Fieberrhythmus, der ihn zwingt, sich nachmittags für einige Stunden hinzulegen. Es ist der Februar 1858, das Fieber hält den Naturforscher Alfred Wallace auf der Insel Gilolo (heute Halmahera) im Molukken-Archipel gefangen. Auch diesmal bleibt ihm nicht viel mehr zu tun, als abzuwarten, bis die Schübe vorübergehen. Also grübelt er einmal mehr über diese Fragen aller Fragen, die ihn nun schon seit einem Jahrzehnt umtreiben: Wie entstehen neue Arten? Wie ist die überbordende Vielfalt der Tiere und Pflanzen um ihn herum zu

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ERFAHRUNGSSCHATZ In diesen Notizbüchern sammelt Wallace auf dem Malaiischen Archipel seine Beobachtungen zu Pflanzen, Insekten und Vögeln

Alfred Russel Wallace (1823–1913) erklären? Und was begrenzt eigentlich die Vermehrung all dieser Arten? Gerade erst ist Wallace auf den Aru-Inseln am östlichen Ende des Ar chipels vor Neuguinea gewesen. Dort hat er auch Vogelschwingen-Schmet terlinge gefangen, die sich in ihrer Flü gelmusterung von solchen Arten unter scheiden, die er von anderen Inseln im

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Archipel kennt. Je nach geografischem Vorkommen sehen diese Schmetter linge immer wieder anders aus; sind einander aber doch zu ähnlich, um als völlig getrennte Arten zu gelten. Vom Fieber an die Pritsche gefesselt, hat Wallace nun die Idee seines Lebens. Was wäre, wenn sich dieses Abweichen von der Norm auf das Überleben solcher Varianten auswirkt, etwa wenn sich die Umwelt ändert? Stets würden die über leben und am meisten Nachkommen haben, die am besten angepasst mit den neuen Lebensumständen zurechtkom men. Plötzlich ist dem Fiebernden klar, dass die Natur selbst für eine Auslese sorgt, die letztlich zum schrittweisen Wandel der Arten führt. Als die Fieberschübe abklingen, bringt Wallace an drei Abenden seine Idee zu Papier. Anfang März schickt er das Manuskript mit einem Brief

Pioniere der Wissenschaft

FOTOS: MARY EVANS/NATURAL HISTORY MUSEUM/INTERFOTO (3), CPA MEDIA/PICTURE-ALLIANCE,

versehen per Postdampfer nach Eng dort ein. Der Empfänger: ausgerechnet Charles Darwin. Der steckt gerade mit ten in der Abfassung seines großen „Ar ten“-Buchs. Bei der Lektüre von Wal laces Artikel bekommt er den Schreck seines Lebens. Wallace hat, ganz unab hängig von Darwin und auf der anderen Seite der Erde, ebenfalls jenes Prinzip erkannt, das die Evolution vorantreibt. Und dieser Abenteurer könnte nun die Lorbeeren für sich reklamieren! Doch mithilfe einflussreicher Freunde weiß Darwin dies zu verhindern. nders als er stammte Alfred Rus sel Wallace aus bescheidenen Verhältnissen; er hat keine Uni versität besucht, aber jung begonnen, als Landvermesser zu arbeiten. Wallace träumte früh von Reisen in tropische Gefilde, und als er endlich Geld für eine Ozeanüberfahrt beisammen hatte, machte er sich an den Amazonas auf. Hier wollte er die viel diskutierte Arten frage lösen. Um seine Reise zu finanzie ren, sammelte er exotische Tiere, um sie Museen und Privatleuten zu verkaufen.

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VARIANTENREICH Schmetterlinge, die Wallace auf seinen Reisen gesammelt hat. Die bunten Insekten inspirieren den Naturforscher zu seiner Idee der natürlichen Selektion

Nach abenteuerlichen Jahren am Amazonas schiffte er sich im Juli 1852 auf einem Zweimaster nach England ein. Das Schiff aber fing mitten im At lantik Feuer; Wallace sah beinahe die gesamte Ausbeute seiner Expedition und wichtige Aufzeichnungen erst in Flammen aufgehen, dann mit dem Wrack in den Wogen versinken; er selbst entging mit der Mannschaft nur knapp dem Tod. Und doch machte er sich zwei Jah re später nochmals auf, diesmal in die kaum erforschte Region des Malaii schen Archipels. Hier sammelte er der art viele Beobachtungen zur Verbrei tung von Tieren, dass er mit seinem

NASHORNVOGEL Das Wappentier der malaiischen Provinz Sarawak (Zeichnung von Wallace um 1856)

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später darüber verfassten Werk auch zum Vater der „Biogeografie“ wird. Wallaces im Fieberanfall geschrie bene Skizze zur Artenfrage erscheint im Sommer 1858 – gemeinsam mit einem Vorab-Auszug aus Darwins Buchmanu skript. Dennoch gerät der Autodidakt später immer mehr in Vergessenheit, zu Unrecht gilt heute Darwin allein als Begründer der Evolutionstheorie. Wäh rend Letzterer eher zufällig an Bord der „Beagle“ kam, wo er relativ komfortable Reiseumstände fand, machte sich Wal lace gezielt auf die Suche nach Fakten, um auf waghalsigen Expeditionen der lange rätselhaften Artenfrage nachzu forschen. Welchen Schreck er Darwin bereitet hat, erfährt Wallace erst nach Darwins Tod aus dessen Autobiografie; doch wird er den Ruhm für die Entde ckung der Evolution großmütig stets Darwin überlassen.

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Ernst Haeckel (1834–1919)

um ersten Mal ist der junge Student am Meer und vom ersten Tag an überwältigt. Im August 1854 begleitet Ernst Haeckel seinen Uni versitätslehrer Johannes Müller, Pro fessor für Anatomie und Physiologie in Berlin, während einer meereszoologi schen Exkursion nach Helgoland. Unab lässig sammelt er, fischt, mikroskopiert und konserviert. „Wir fahren täglich auf das offene Meer hinaus, wo wir mit dem Schöpfnetz in kurzer Zeit Tausen de der reizendsten Seegeschöpfe fan gen, zu deren Mikroskopieren wir nun die ganze übrige freie Zeit verwenden“, berichtet Haeckel begeistert in einem

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SCHIRMQUALLE ra mediterra nea aus „Kunst formen der Natur“

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FOTOS: MARY EVANS/INTERFOTO, INTERFOTO, ARCHIVE PHOTOS/GETTY IMAGES, AKG-IMAGES

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Brief an seine Eltern. Dieses Schöpfnetz haben sie aus einem feinmaschigen Da menstrumpf gebastelt, den sie auf ei nen Drahtring gestreift haben. Durchs Wasser gezogen, verfangen sich darin kleinste Meeresorganismen in großer Zahl – bizarre Krebse, durchsichtige Würmer und zarte Quallen. Unter dem Mikroskop entdeckt er eine bis dahin unbekannte Vielfalt und Schönheit im Wasser driftender Meerestiere. Weni ge Wochen auf dem Felseneiland in der Nordsee offenbaren Ernst Haeckel wah re Wunder der Schöpfung, lassen den empfindsamen Studenten die ganze Er habenheit der gewaltigen Natur spüren. Helgoland hat Haeckel süchtig ge macht; viele Male kehrt er ans Meer zurück, auch als er später selbst Profes sor für Anatomie in Jena ist. Haeckel ist einer der ersten Zoologen, der die enorme Vielfalt an mikroskopischen Le bewesen systematisch untersucht und beschreibt. Auch an anderen Küsten

Europas sichtet und sor tiert er viele Stunden lang Wasserproben unter dem Mikroskop; und dank seines zeichnerischen Talents bildet er die winzigen Meereslebe wesen erstmals kunstvoll ab. Wie ein Dekorateur arrangiert Haeckel seine Zeichnungen der anmutigen Körper, komponiert sternenstrahlige Einzeller und zierliche Wirbellose mit filigra nen Tentakelschleiern auf Farbta feln. Für ihn sind Meeresplankton und Medusen nicht bloß zoologi sche Studienobjekte, sondern zugleich „Kunstformen der Natur“, in denen sich die Erhabenheit der Schöpfung offenbart. Der Sinn des Da seins, so glaubt Haeckel, sei vor allem Schön heit, Harmonie und

HELGOLAND Auf der Insel fängt Haeckel viele der von ihm gezeichneten Tiere (Stich um 1900)

Pioniere der Wissenschaft Doch Ernst Haeckel entdeckt auch eine andere Seite der Natur. Als einer der Ersten in Deutschland – und darin liegt seine zweite wichtige Rolle – be greift er sofort die ungeheure Trag weite der darwinschen Abstammungs theorie. 1866 setzte er sich erstmals in seinem für ein Fachpublikum ver fassten Werk „Generelle Morphologie der Organismen“ mit Darwins Theorie auseinander (darin prägt er fast beiläu Lehre vom Haushalt der Natur). Derart tionslehre ein, dass man ihn bald „Dar wins deutsche Bulldogge“ nennt. Mit der Selektionstheorie habe Darwin „auf einfachste Weise das große Problem von der Entstehung der Arten gelöst“, so Haeckel, der in seinen Werken nun betont, dass der Brite „anstelle des un begreiflichen Wunders das begreifliche Naturgesetz“ gebracht habe. Fortan ist Haeckel zerrissen zwischen seiner Be wunderung der Naturschönheit und seiner Auffassung vom gnadenlosen „Kampf ums Dasein“ und dem „Überle ben des Stärkeren“. ugleich erfolgreicher Meeres biologe und leidenschaftlicher Kämpfer für die Abstammungs theorie, ist Haeckel bereits zu Lebzeiten ein umstrittener Denker, eine der fas

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Symme trie. Als er seine besten Zeich nungen ein hal bes Jahrhundert später zu einem Bildwerk zusammen fasst, wird es zum Bestseller ei nes kunstsinnigen Bildungsbürgertums und prägt den Jugendstil, die verspielte seller werden Haeckels „Kunstformen“ bis heute immer wieder neu aufgelegt.

sönlichkeiten seiner Zeit. Anders als Darwin zeichnet er Stammbäume und diskutiert die Stellung und Abstam mung des Menschen; doch erklärt er dabei auch ohne Zögern etwa austra lische Ureinwohner zum Bindeglied zwischen Mensch und Affe oder lobt die Spartaner dafür, dass sie einst kranke und missgebildete Kinder ausmerzten. Darwins Idee einer natürlichen Selektion, bei der stets die am besten Angepassten überleben, verengt Hae ckel auf ein vermeintliches „Recht des Stärkeren“; aus diesem falsch verstan denen „Kampf ums Dasein“ (ein Begriff, den Darwin zu vermeiden sucht) leitet Haeckel sogar die Überlegenheit ein zelner Menschenrassen ab, bei denen er statt von einer gesamten Menschheit von getrennten Arten spricht, die er als

STRAHLENTIERCHEN Darstellung von Collozoum inerme, einzelligen Organis men, in Haeckels „Die Radiolarien“ (1862)

„niedere Papuas“, „Kaffer“ und „Ne ger“ den vermeintlich höher stehenden „Kaukasiern“ gegenüberstellt. Haeckels fehlerhafte Wiedergabe von Darwins Gedankengebäude wird ihn noch ein Jahrhundert nach seinem Tod zu einem ebenso hochverehrten wie tief verachteten Forscher machen. Evolution und Affenverwandtschaft ler nen die meisten Deutschen nicht durch Darwin, sondern durch Haeckel. Denn als sich sein erstes Buch zu Darwin kaum verkauft, lässt der Biologe seine Darwin Vorlesungen in Jena mitschrei ben. Zwei Jahre später wird sein neues, nun erstmals allgemein verständliches Evolutionsbuch „Natürliche Schöpfungs geschichte“ zum Kassenschlager mit zahlreichen Neuauflagen noch zu Leb zeiten des Autors. Mit seinen haltlosen Schlussfolgerungen vom vermeintli chen Naturgesetz eines „Recht des Stär keren“ bereitet Haeckel aber auch den Boden für spätere unheilvolle Entwick lungen. Auf gefährliche Weise führen diese in Deutschland vom Sozialdarwi nismus geradewegs in den Nationalso zialismus. P.M. HISTORY – JUNI 2017

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Studium der Physik weiß er, dass Versuchsbedingungen immer ein fach und kontrollierbar sein müssen. Ebenso hat er dort gelernt, die Geheim nisse der Natur durch Zählen zu er gründen. Zuletzt hat er aus dem Konzept der Atome abgeleitet, dass zuweilen unsichtbare Fak toren die Welt formen. Als er jetzt die gezüchteten Erbsen mit

GRÜN, GELB, GLATT, RUNZLIG Erbsen mit verschiedenen Eigenschaften aus Mendels Sammlung

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FARBSPIEL Durch Kreu zung der pink blühenden mit der weiß blü henden Erbse entsteht die dunkle Blüte in der Mitte

m Frühjahr 1854 erhält Pater Gre gor vom Abt des Augustinerstifts im mährischen Brünn die Erlaubnis, in einem stillen Winkel der Klos termauern einen kleinen Garten anzulegen. Von reisenden Händlern hat der Mönch immer wieder Erbsen sorten dene, darunter solche mit gelben und grünen, mit runden oder runzligen Sa men. Daraus züchtet Pater Gregor bin nen zwei Jahren 22 „rein erbige“ Sorten: Ihre Merkmale bleiben beständig. Doch das ist nur der Anfang. In den nächsten acht Jahren, von 1856 bis 1863, führt er ein groß angelegtes und pedantisches Experiment durch: Mehr als 10 000mal kreuzt er Erbsen mit verschiede nen Eigenschaften – etwa Form und Farbe der Blüten sowie der Samen. Er züchtet 40 000 Pflanzen, sortiert und zählt 350 000 Samen. Der Mönch will wissen, wie einzelne Merkmale an die Nachkommen weitergegeben werden. Am Ende hat er als Erster die Grund regeln der Vererbung entdeckt. Seine Versuche sind ein Parade experiment der empirischen Wissen schaft. Bewusst verwendet er nur Erb sen als Versuchspflanzen. Aus seinem

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den ursprünglichen vergleicht, erkennt er Muster. Und entdeckt jene unsichtba ren „Elemente“, denen er eine „lebendi ge Wechselwirkung“ bei der Vererbung zuspricht – heute nennen wir sie Gene. Johann Mendel kommt 1822 als Sohn eines Obstzüchters an der mäh risch-schlesischen Grenze zur Welt. Eigentlich will er Wissenschaftler wer den. Doch die Eltern verarmen, nur mit Mühe kann Johann das Gymnasium abschließen. Sein Studium der Physik muss er krankheitsbedingt abbrechen; 1843 tritt er ins Augustinerkloster in Brünn ein, das ermöglicht ihm die Fort setzung seines Studiums. Er nimmt den Namen Gregor an, studiert vier Jahre

Johann Gregor Mendel (1822–1884)

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Theologie, legt das Ordensgelübde ab. Er studiert Naturwissenschaft und ar beitet als Lehrer für Naturgeschichte an der Oberrealschule in Brünn. Mit seinen Versuchen ergründet Mendel, wie die Vererbung funktio niert. Damals glauben viele (etwa Dar win), dass sich Merkmale der Eltern in den Nachkommen mischen, so wie man Rot- und Weißwein zum Rosé mischt. Doch der Augustinermönch entdeckt, dass Merkmale einzeln und unabhängig voneinander vererbt werden. Einige der Erbfaktoren – die Träger der Merkma

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Erbfaktoren dominieren, also schein bar zum Verschwinden bringen. Doch in der nächsten Generation kommen die unterdrückten Eigenschaft je nach Kombination wieder zum Vorschein. Ende 1866 erscheint Mendels Schrift „Versuche über Pflanzen-Hybriden“. „Ich bin überzeugt, dass es nicht lange dauern wird, da die ganze Welt die Er gebnisse dieser Arbeiten anerkennen wird“, sagt Mendel, der 1868 zum Abt des Klosters gewählt wird. Doch er ist seiner Zeit offenbar zu weit voraus. Nie mand versteht, was der Erbsen zähler im Jahre 1900 werden Mendels Ver -

zum Grundstein der Genetik. -

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Spitzmarke Pioniere der Wissenschaft

Karl August Möbius (1825–1908)

FOTOS: MARY EVANS/INTERFOTO (2), ULLSTEIN BILD, MUSEUM FÜR NATURKUNDE BERLIN, UNIVERSITÄTSBIBLIOTHEK KIEL, SZ PHOTO

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Monat reist der Zoo loge Karl August Möbius gemeinsam mit seinem Freund, dem Fabrikbesitzer und Hobbyfor scher Heinrich Adolph Meyer, während des Sommers mit der Eisenbahn von Hamburg nach Kiel. Von Meyers klei ner Segeljacht „Marie“ aus beobach ten, fangen und untersuchen sie mit Kescher und Grundnetz in der Kieler Förde mehr Arten, als in der gesamten Ostsee bis dahin bekannt sind. Längst geht es ihnen nicht mehr bewohner für ihr Aquarium in Ham burg einzusammeln. Die beiden Forscher wollen wissen, in welcher Be ziehung die einzelnen Arten zueinan der stehen, aber auch, wie sie auf Ände rungen ihrer äußeren Lebensumstände

MEERESSCHNECKE Darstellung der Cerithium reticulatum in „Fauna der Kieler Bucht“ von Möbius und Meyer 1865

Meyer über viele Monate und Jahre akribisch Salzgehalt, Temperatur und die Beschaffenheit des Bodens, auf dem die Tiere leben. In ihrem Werk über die „Fauna der Kieler Bucht“ beschreiben Möbius und Meyer 1865 dieses Wech selwirken von Organismen mit ihrer Umwelt, zum Beispiel wie bestimmte Arten abhängig sind von einem in der Ostsee regional schwankenden Salz gehalt. Erst ein Jahr später wird Ernst Haeckel dafür den Begriff „Ökologie“ prägen – als Lehre von den Beziehun gen der Organismen zueinander und zur umgebenden Außenwelt, kurz: vom Haushalt der Natur. 1869 reist Möbius im Auftrag des preußischen Landwirtschaftsministers an die Küsten Frankreichs und Eng lands, um die dortigen Austernkultu ren zu studieren. Sie inspirieren ihn zu

seiner Idee der „Lebensgemeinschaft“ (oder Biozönose) – eines der wichtigs ten und grundlegenden Konzepte der Ökologie. Er erkennt: Für das Überle ben der Tiere sind nicht nur „tote Fak toren“ wie Temperatur oder Salzgehalt verantwortlich, sondern auch gleich sam „lebendige Faktoren“, nämlich die anderen Organismen in der Nähe. In der Natur existiert kein Organismus für sich allein, sondern überlebt nur im ständigen Austausch mit anderen. Wenn der Mensch etwa in einer Austernbank zu viele Austern ab

SCHNECKENSCHALE In neuartigen Aus stellungen brachte Möbius dem Publikum die Schönheit der Meereswelt nahe

fischt, kann sich der Bestand trotz mil lionenfachen Nachwuchses nicht mehr erholen, da die Konkurrenz aus Herz und Mies muscheln in der Zwischenzeit den frei gewordenen Raum erobert. Möbius betont, dass sich diese Le bensgemeinschaften jeweils in einem delikaten Gleichgewicht befinden; ver ändert sich ein Faktor, stellt sich das System sehr dynamisch auf die neuen Umweltbedingungen ein. Aus Möbius’ Konzept der Lebensgemeinschaft als Biozönose entwickelt sich später die moderne Idee des Ökosystems.

Professor Matthias Glaubrecht ist Direktor des Centrums für Naturkunde an der Universität Hamburg. Er schrieb mehrere Bücher über die Evolution. P.M. HISTORY – JUNI 2017

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DOPPELPRÄMIERT Marie Curie erhält gleich zwei Nobel preise – dies gelingt überhaupt nur drei weiteren Menschen (Foto von 1925, koloriert)

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Im Bann der

Strahlen Marie Curie entschlüsselt die Radioaktivität und setzt sich gegen alle Widerstände durch. Doch ihr Glück findet die geniale Forscherin nie Von Martin Scheufens

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re alt ist, ahnen die we nigsten Menschen in ihrer Umgebung, dass die gro ße Wissenschaftlerin fast blind ist. Seit Langem schwindet ihre Sehkraft, mehrmals wird Curie an den Augen operiert. Doch ihr Leiden hält sie jahrelang selbst vor Freunden geheim. Die Radioaktivität, die sie erforsch te, hat ihren Körper ruiniert. Curie möchte das nicht wahrhaben, verschlei ert ihre Schwäche aus Scham und Stolz. Sie zeigt auch hier jene Verschlossen heit, eiserne Disziplin und Härte gegen sich selbst, die sich durch ihr ganzes Leben ziehen, die sie zur berühmtesten Forscherin aller Zeiten machen. Es finden sich nur schwerlich an dere Wissenschaftler, die sich ihren Erfolg ähnlich hart erarbeiten mussten wie Marie Curie. Als erste Frau in einer euphorischen Frankreich musste sie immer zu den Besten gehören, um auch nur toleriert zu werden. Ihre Forschung ist mühselige, kräf tezehrende Arbeit, der sie jahrelang in einem zugigen Schuppen nachgeht. Obwohl sie gleich zwei Nobelpreise dafür er hält, bleibt ihr lange Zeit die öffentliche Anerkennung ver das ist zu ihren Lebzeiten ein

Kuriosum, auf das sich die Journalisten regelrecht stürzen. Geliebt und bewundert wird sie erst am Ende ihres Lebens. Und besonders nach ihrem Tod. Marie Curie wird dann geradezu verklärt: Als hart arbeitende, scheue, zurückhaltende und aufopfe rungsvolle Wissenschaftlerin, die sich len Anfeindungen korrumpieren ließ. Als alleinerziehende, liebevolle Mut

feministisch engagiert, sie wollte für ihr Werk wahrgenommen werden und nicht dafür, dass sie eine Frau ist. Bis heute ist die Faszination nicht abgeebbt, wird ihr Privatleben ausge leuchtet wie bei keinem männlichen Forscher. Tatsächlich liefert ihr Leben genug Material zur Legendenbildung – beruflich wie persönlich: Marie Curie hat eine Fehlgeburt, muss den frühen Tod ihres Mannes überwinden und sich gegen Hetzkampagnen der Presse und der Öffentlichkeit wehren. Ein erfolgreiches Leben? Ja! Ein glückliches? Wohl kaum. Viel leicht wäre ihr das aber auch nicht so wichtig gewesen. PECHBLENDE In diesem Mineral entdeckt Curie das radioaktive Radium

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wird 1867 in Warschau ge boren, als jüngstes von fünf Kindern. Ihre Familie gehört zum ver armten Landadel. Der Vater, ein Lehrer für Mathematik und Physik, muss oft die Anstellung wechseln, ist zeitweise arbeitslos, die Familie zieht häufig um. Die Mutter leidet unter Tuberkulose, die teuren Behandlungen zehren das ohnehin schon knappe Vermögen auf. Schlimmer noch: Wegen der Krank heit wächst Maria mit wenig Zärtlich keit auf, die Mutter küsst und drückt ihre Kinder so gut wie nie, denn sie hat Angst, sie anzustecken.

FAMILIENBANDE Maria (links) mit ihrem Vater und ihren Schwestern Bronia und Hela (1890). Nach dem

Doch Maria bekommt ein anderes wertvolles Gut mitgegeben: Bildung. Ihr Großvater war Direktor eines Gym nasiums, ihr Vater hat in St. Petersburg studiert, ihre Mutter leitet zeitweise eine Mädchenschule. Maria kann schon mit vier Jahren lesen. stanz, es prägt das Familienhaus. Als ihr Vater wieder einmal seine Anstellung

verliert – damals werden viele Polen aus dem Lehramt gedrängt und durch Russen ersetzt –, eröffnet die Familie in ihren privaten Räumen eine Pension für Schüler, bis zu zehn Kinder leben nun bei ihnen unterm Dach. Privatsphäre ist unmöglich. Der Vater verdient Geld, indem er Schülern Nachhilfe gibt. Das Zuhause wird zur Lernstätte, im Flur, im Wohnzimmer, in jeder Ecke der Wohnung sitzen fremde Kinder, die ihre Lektionen murmeln. Als Maria acht Jahre alt ist, stirbt ihre Schwester Sofia, zwei Jahre spä ter ihre Mutter. Nun muss der Vater al lein für vier verbliebene Kinder sorgen. Auch die jüngste Tochter wird früh zur Selbstständigkeit erzogen. Die Schu le beendet Maria als Jahrgangsbeste. Doch der Weg in die Universität ist ver sperrt. Sie müsste ins Ausland gehen, aber dafür fehlt Geld. Sie bildet sich da her privat weiter, besucht Vorlesungen der „Fliegenden Universität“, eines pri vaten Kreises, der philosophische Texte bespricht. Da auch nationale Ideen dis kutiert werden, ist die Gruppe verboten. ie Besetzung Polens, die Erzie hung des Vaters, aber auch die „Fliegende Universität“ prägen ihre Weltsicht. Maria ist idealistisch, patriotisch, pflichtbewusst: „Wir dürfen nicht hoffen, eine bessere Welt zu er bauen, ehe nicht die Individuen besser werden. In diesem Sinn soll jeder von uns an seiner eigenen Vervollkomm nung arbeiten, indem er auf sich nimmt, was ihm im Lebensganzen der Mensch heit an Verantwortung zukommt, und sich seiner Pflicht bewusst bleibt (…)“ – dieses Zitat vom Ende ihres Lebens fasst ihr eigenes Leben gut zusammen. Ihr Geld verdient Maria zunächst mit Nachhilfe, später arbeitet sie als Gouvernante auf dem Land. Ehrenamt lich gibt sie zudem den Dorfkinder Un terricht, zwei bis fünf Stunden täglich, abends liest sie Fachbücher als Selbst studium.

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GEMEINSAM UNTERWEGS Das Ehepaar Curie kurz nach der Hochzeit im Urlaub (1895 in Sceaux)

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FOTO VORHERIGE SEITE: BRIDGEMAN IMAGES; FOTOS DIESE SEITE: UNIVERSAL IMAGES GROUP/AKG-IMAGES, SAMMLUNG RAUCH/INTERFOTO, AKG-IMAGES

Eigentlich ist ihr schon bei der Ge burt eine Karriere verbaut. Denn Curie wächst in Polen auf, damals vom rus sischen Zarenreich besetzt, weitab der geistigen Zentren Europas, einem Land, in dem Frauen nicht studieren dürfen, in dem die Gebildeten unterdrückt wer den – denn diese stellen die Keimzelle der Unabhängigkeitsbewegung.

Pioniere der Wissenschaft

Zurück in Warschau erhält sie durch einen Bekannten Zugang zu einem Labor, in ihrer Freizeit und an Sonnta gen experimentiert sie dort – eine frus trierende, aber trotzdem befriedigende Erfahrung, denn nach eigener Aussage lernt sie, dass „der Fortschritt auf die -

Eine Heizung fehlt, bei Frost gefriert das Wasser im Zimmer. Das Studium ist härter als gedacht, neben Geldsor gen macht ihr auch die französische Sprache zu schaffen. Und: Trotz ihres Eigenstudiums in Polen ist sie schlech ter ausgebildet als ihre Kommilitonen.

Frauen dürfen in Polen nicht an die Universität – und für ein Studium im Ausland fehlt das Geld sem Gebiet sich weder rasch noch leicht ergibt“ – dieser Gedanke schreckt sie nicht ab, sondern spornt sie eher an. 1891 hat sie endlich genug Geld zu sammen, um nach Paris zu gehen, sie schreibt sich an der legendären Univer sität Sorbonne für Physik ein. Im ersten Schwester und deren Mann, später al lein in einer ärmlichen Dachkammer:

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Sie muss Wissenslücken füllen, lernt verbissen, schont sich nie, ernährt sich schlecht. Bald leidet sie unter Schwin delattacken, wird oft ohnmächtig. Die Schwester holt sie wieder zu sich. Nach ihrem Abschluss würde Ma diesmal Mathematik, aber das nötige Stipendium erhält sie nur, wenn sie als eine der Besten abschneidet. Sie lernt

noch härter und schafft das Unglaubli che: Sie überholt ihre 30 Kommilitonen und wird die Beste des Jahrgangs. nur wenige, Small Talk interessiert sie nicht. Sie blüht erst auf, wenn sie über Wissenschaft reden kann – wie mit Pierre Curie: Er ist auch Physiker, lehrt an einer Schule, hat sich mit seinen Stu dien einen Namen gemacht. Die beiden sind einander ebenbürtig, diskutieren über Grundlagenforschung, bald aber auch über Privates. Sie verlieben sich. Doch als er ihr einen Heiratsantrag macht, lehnt sie ab. Sie vermisst ihre Fa milie, kehrt nach ihrem Studium nach Polen zurück, auch fühlt sie sich ver pflichtet, in ihrer Heimat zu arbeiten. Als sie aber in Warschau keine An stellung findet, geht sie erneut nach Pa ris, um sich weiterzubilden. Ein zweites Mal wirbt Pierre um sie – diesmal mit Erfolg. Sie heiratet ihn und heißt fortan Marie Curie. Zeit ihres Lebens wird sie jedoch darunter leiden, fernab der Hei mat leben zu müssen.

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CURIES LABOR In diesem Holzschuppen entdeckt die Physikerin das Radium – unter erbärmli chen Bedingungen

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1897 bekommt das Paar seine erste Tochter, Irène. Um das Kind kümmert sich maßgeblich Pierre Curies Vater, der Witwer ist, denn Marie Curie steht kurz vor ihrer Doktorarbeit. In dieser Zeit sorgen die mysteriö sen X-Strahlen für Furore, die zwei Jah re zuvor der deutsche Physiker Wilhelm Conrad Röntgen entdeckt hat (siehe Seite 69). Diese sind für den Menschen unsichtbar und können Materie durch dringen. Das Bild einer geröntgten Hand geht um die Welt. Ein halbes Jahr nach Röntgen stößt der Franzose Henri Becquerel auf eine weitere unsichtbare Strahlung, die von Uran ausgesandt wird. Becquerels Be obachtung geht im Hype um Röntgen unter. Doch Curie, auf der Suche nach

einem Thema für ihre Promotion, er kennt, das hier etwas ganz anderes, Neuartiges vorliegt. Denn die X-Strah len wurden von Röntgen künstlich her gestellt. Uran strahlt jedoch natürlich, -

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stützt sie kaum. Nicht einmal ein Labor bekommt sie zugewiesen. Schließlich erhält sie von der Schule, an der Pi erre Curie arbeitet, die Erlaubnis, einen al ten Lagerraum zu nutzen. Der Holz -

Marie Curies Forschung ist Knochenarbeit, die sie in einem zugigen Schuppen macht gibt von ganz allein unentwegt Wär me ab, ohne dass von außen Energie zugeführt wird. Was ist diese seltsame Strahlung? Und wo kommt sie her? Curie stürzt sich auf das neue Phä nomen. Doch die Universität unter -

schuppen ist großflächig verglast: Im Winter ist es darin bitterkalt, im Som mer brütend heiß. Durch das undichte Dach fallen Regentropfen auf die Ar beitsfläche. Später werden Forscher zu diesem Ort pilgern, an dem Curie

Radioaktivität: Herkunft und Nutzen Als Forscher die Ursache der Radio aktivität untersuchten, mussten sie erkennen: Atome sind doch nicht die kleinsten Bausteine der Welt. Sie bestehen aus noch kleineren Bau steinen, aus Protonen, Neutronen und Elektronen. Sehr große Atome sind – wie Türme aus Bauklötzchen – instabil. Sie brechen nach einiger Zeit auseinander. Die Bruchstücke bilden neue, kleinere Atome. Doch einzelne Bruchstücke fliegen mit hoher Ener gie davon – dies ist die Radioaktivität. Insgesamt gibt es von ihr drei Ar ten, sie werden Alpha-, Beta- und Gamma strahlung genannt. Sie entsprechen verschiedenen Bruch stücken und durchdringen Objekte verschieden stark. Alphastrahlung besteht aus zwei Pro tonen und zwei Neutronen. Sie ist im menschlichen Körper sehr gefährlich, doch schon die Haut schirmt sie meist ab. Betastrahlung besteht aus schnell fliegenden Elek -

MEDIZIN Radioaktivität in der Diagnostik (Oben: Auf nahme einer Gammakamera, unten: PET-Scanner)

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tronen. Die bekannteste Variante ist die Gammastrahlung, sie besteht aus reiner Energie. Sie durchdringt den menschlichen Körper und wird meist mit Blei abgeschirmt. chäologie genutzt, um anhand der Atomzerfallsprozesse das Alter von Funden zu bestimmen. Sie dient bei Satelliten als Energielieferant, in der Industrie bei der Materialprüfung. Sehr wichtig ist sie in der Medizin: Sie hilft in der Diagnostik, aber auch gezielt gegen einzelne Tumorarten, bei Erkrankun gen der Schilddrüse oder der Gelenke.

Pioniere der Wissenschaft

ihre großen Entdeckungen gemacht

keller“, schreibt der deutsche Chemiker Wilhelm Ostwald, „und wenn ich nicht die chemischen Apparate auf dem Ar beitstisch gesehen hätte, hätte ich das Ganze für einen Witz gehalten.“ usgerechnet hier will Curie Stück für Stück die Geheimnisse der mysteriösen Energie enthül len. Zunächst gelingt es ihr, die Stärke der Strahlung zu messen – und zu ver gleichen. Curie weist nach: Die Intensi tät hängt nicht von der Temperatur oder dem Druck ab, auch nicht davon, ob

FOTOS: SCIENCE PHOTO LIBRARY, DPA PICTURE-ALLIANCE, BRIDGEMAN IMAGES

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einzig die Menge des Urans bestimmt die Stärke der Strahlung. Damit zeigt sie: Es liegt kein chemisches Phänomen vor, es sind tatsächlich die Uranatome selbst, die Energie abgeben. Das war damals unerhört neu: Atome galten als tote Bausteine, aus denen sich die Natur zusammensetzt, die aber selbst nicht aktiv sind. Curie gibt dem Phänomen einen Namen: Die Materie sei „strah lungsaktiv“, auf Latein: „radioactiv“. Als Nächstes untersucht sie, ob auch andere Materialien außer Uran Wär me abgeben. Und tatsächlich wird sie beim Element Thorium fündig. Als sie ihre Erkenntnis veröffentlicht, erfährt sie, dass ihr der deutsche Forscher Ger hard Schmidt zuvorgekommen ist. Der Ruhm für diese Entdeckungen – er geht an einen anderen. Curie macht weiter, bestimmt etwa, dass Thorium schwächer strahlt als Uran. Die Menge der Strahlung ist of fenbar wie ein Fingerabdruck, an dem man das Element erkennt. Doch als sie ein Stück Uransalz (auch Pechblen de genannt) untersucht, widerspricht das Ergebnis all ihren Erwartungen: Die Strahlung ist viermal stärker, als die Menge Uran im Material erwarten lässt. Entweder sind all ihre bisheri gen Erkenntnisse falsch – oder in dem natürlichen Gestein steckt eine zweite, unbekannte Substanz, die stark strahlt. Curie ahnt, dass sie vor einer Sen sation steht. Solch ein Element hat nie mand erwartet, es würde das Wissen

um die Atome sprengen. Doch um als Entdeckerin eines neuen Elements in die Geschichte einzugehen, muss Curie dieses aus der Pechblende herausholen, es in reiner Form herstellen und sich da bei auch noch beeilen, damit ihr nicht erneut jemand zuvorkommt. Ihr Mann Pierre legt seine eigene Forschung bei seite und unterstützt sie. In den nächsten Monaten sucht Cu rie nach einem Weg, alle anderen Stof fe vom Uransalz abzutrennen und nur noch das gesuchte Element übrig zu las sen. Ihre Forschung im Holzschuppen ist Knochenarbeit. Sie erhitzt enorme Mengen von Pechblende, bis zu 20 Kilo gramm auf einmal, rührt über Stunden die zähe Masse mit einem schweren Ei senstab, gießt die Flüssigkeit um, kratzt

Bodensatz ab, trägt die schweren Be hälter durchs Labor. Die notwendigen Tonnen an Pechblende schenkt ihr eine Firma, das Mineral gilt damals noch als wertloser Abfall der Glasindustrie. Schon bald entzünden sich Marie Curies Finger, bei Pierre Curie setzen rheumaähnliche Symptome ein, beide leiden unter großer Müdigkeit. Noch ahnen sie nicht, dass die Strahlung, die sie untersuchen, sie krank macht. Sie sind viel zu euphorisch, um die Gefahr zu erkennen, denn früh zeigt sich: Sie jagen nicht nur ein, sondern sogar zwei unbekannte Elemente. Das eine nennen sie „Radium“, das andere tauft Curie aus Patriotismus auf den Namen „Polonium“. Allerdings stecken in der Pechblende lediglich winzige

NACHFOLGE Auch Tochter Irène Joliot-Curie wird Physike rin (Aufnahme mit Marie von 1925). Sie stellt radioaktive Ato me künstlich her und erhält 1935 selbst mit ihrem Mann Frédéric den Nobelpreis für Chemie

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Mengen der neuen Elemente. Was die beiden Forscher nur ahnen können: In zehn Tonnen Pechblende befindet sich nur ein Gramm Radium. Für ein Gramm Polonium müssten sie sogar 30 nen des Minerals verarbeiten. Nach drei Jahren harter Arbeit werden sie 1902 gerade 0,1 Gramm Radiumsalz isoliert haben. Doch das Radium strahlt eine Million Mal stärker als Uran. Es macht das Ehepaar Curie berühmt. usammen mit Becquerel erhal ten sie 1903 den Nobelpreis für Physik: für die Erforschung der Radioaktivität. Marie Curie ist die erste Frau, die diesen Preis in einer wissen schaftlichen Kategorie bekommt – und bleibt für lange Zeit auch die einzige. Doch das Ehepaar kann nicht zur Preisverleihung nach Stockholm reisen, Marie ist dafür zu krank. Immer klarer zeigt sich, dass die Strahlen dem Körper schaden. „Bei einem von uns hat die Entzündung der Fingerspitzen vierzehn

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GRUPPENBILD MIT DAME Auf der fünften Solvay-Konferenz versammeln sich 1927 in Brüssel die größten Physiker ihrer Zeit. Foto erhalten einen Nobelpreis, unter ihnen Albert Einstein (unten, Mitte), Max Planck (unten, 2. von links), Erwin Schrödinger (oben, 6. von links), Werner Heisenberg (oben, 9. von links) oder Niels Bohr (Mitte, ganz rechts). Auf der legen dären Konferenz diskutieren die Forscher erstmals über die soeben entdeckte Quantenmechanik. Die einzige Frau unter lauter Männern: Marie Curie

nem Monat nicht verheilt. Die Naivität der Forscher erstaunt. Offenbar verklä ren sie die Strahlung als etwas Natürli -

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Tage angehalten und mit der Häutung ihren Abschluss gefunden, doch ist die Schmerzempfindlichkeit nach zweimo natiger Dauer noch nicht verschwun den“, schreibt Pierre Curie. Er setzt sich sogar bewusst der Strahlung aus: Für zehn Stunden legt er eine Probe von Radiumsalz auf seine Haut und protokolliert anschließend den Heilungsverlauf. Eine tiefe Ver brennung entsteht, die auch nach ei

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Über Langzeitschäden machen sie sich keine Gedanken. 1903 wird Ma rie Curie wieder schwanger. Doch sie arbeitet weiter, schont sich nicht, sie schlafwandelt. Und erleidet eine Früh geburt, das Kind stirbt. Vielleicht das erste Opfer der Radioaktivität. Mehr als für die negativen Folgen interessieren sich die Forscher für den praktischen Nutzen ihrer Entdeckung: Bald schon zeigt sich an Tieren, dass die Strahlung manche Tumore zerstören kann. Jetzt werden die Curies auch in der breiten Öffentlichkeit bekannt – als Entdecker eines Heilmittels gegen den übermächtigen Krebs. Die Presse bela gert sie, auch im Urlaub. In einem Brief an ihren Bruder klagt Marie: „Wir sind von Briefen und Besuchen von Fotogra fen und Journalisten überschwemmt. Man möchte sich unter die Erde verkrie

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Frauen in der Forschung

FOTOS: EMILIO SEGRE VISUAL/AKG-IMAGES, SCIENCE PHOTO LIBRARY/AKG-IMAGES, BPK, UIG VIA GETTY IMAGES

Bis zum 19. Jahrhundert konn ten sich nur wenige Frauen in der Wissenschaft durchset zen, etwa die Mathematikerin Hypatia (um 355–415), die Uni versalgelehrte Hildegard von Bingen (1098–1179) und die Naturforscherin Maria Sibylla Merian (1647–1717). Seitdem steigt die Zahl der Wissen schaftlerinnen, wenn auch nur langsam. Als erste Pro grammiererin der Welt gilt die britische Ma thematikerin Ada Lovelace (1815–1852), die wichtige Grundlagen für Programmiersprachen leg -

chen, um Ruhe zu haben.“ Marie Curie polarisiert, liberale Blätter feiern sie als unabhängige Frau, in konservativen Zeitungen gilt sie nur als Anhängsel ih res Mannes, als fast schon widernatürli che, weil fähige Frau. Immerhin realisiert jetzt die Uni versität, wen sie da in ihren Reihen hat. Pierre Curie erhält einen Lehrstuhl an der Sorbonne. Marie Curie nur – oder immerhin – eine Assistentenstelle. Ihre Forschung wird nun besser unterstützt, allerdings müssen sie im Gegenzug Vor lesungen halten, eine zusätzliche Belas tung, nachdem 1904 ihre zweite Toch ter Ève zur Welt kommt. Alles ändert sich am 19. April 1906: Als Pierre Curie eine Straße überquert, überrollt ihn eine Kutsche. Der Forscher ist sofort tot. Marie verliert damit nicht nur ihren Mann, sondern auch beruf lich ihren kongenialen Gefährten. Sie verschließt sich noch mehr als sonst, setzt unbeirrt ihre Forschung fort, über nimmt die Vorlesungen ihres Mannes,

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sorgt gemeinsam mit ihrem Schwieger vater für die beiden Töchter. In Wahrheit aber leidet sie an Depressionen. Ihre Gefühle offenbart sie nur ihren Tagebüchern, in ihnen schreibt sie an ihren verstorbenen Mann: „Mein Pierre, ich stehe nach ei ner ziemlich guten Nacht auf und bin verhältnismäßig ruhig. Das ist kaum eine Viertelstunde her, und nun möchte ich wieder brüllen wie ein wildes Tier.“ An eine Freundin schreibt sie 1907: „Mein Leben ist so zerstört, dass es sich nie mehr einrichten wird. So ist es, so wird es bleiben, und ich werde nicht versuchen, es zu ändern. Ich habe den Wunsch, meine Kinder so gut wie nur irgend möglich zu erziehen, doch sind auch sie nicht imstande, mich zum Le ben zu erwecken.“ Die Universität gibt Marie die Stelle ihres Mannes – zunächst nur kommis sarisch. Eine Frau als Professorin gilt noch als undenkbar. Erst nach zwei Jahren darf sie offiziell den Lehrstuhl

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Computer. Die US-amerikani sche Polarforscherin Josephine Peary (1863– 1955) beschrieb erstmals die Kul tur der Inuit. Die österreichische Physikerin Lise Meitner (1878– 1968) lieferte die Erklärung der Kernspaltung, doch wurde sie beim Nobel preis übergangen, genauso wie die britische Biochemikerin Rosalind Frank lin (1920–1958), die wichtige Erkenntnisse zur Struktur des Erb guts lieferte. Bis einschließlich 2016 erhielten insgesamt 587 Menschen den Nobelpreis in einer der drei wissenschaftlichen Sparten (Physik, Chemie und Medizin). Darunter 570 Männer – und insgesamt nur 17 Frauen.

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Pioniere der Wissenschaft

übernehmen, als erste Professorin der Sorbonne. Die Universität kommt an ihr nicht vorbei, sie ist längst zu berühmt. Radium wird mittlerweile als Wun derstoff propagiert, die Preise explo dieren. Die erste Fabrik für Radium eröffnet. Der radioaktiven Strahlung werden allerlei hilfreiche Eigenschaf ten angedichtet, Cremes, Lippenstifte, sogar Nahrungsmittel werden damit

Curie mit dem Forscher Paul Lange vin eine Liaison hat. Langevin war ein Freund von Pierre Curie, Marie und er kennen sich schon Jahre. Allerdings ist Langevin verheiratet, auch wenn die Ehe kurz vor der Scheidung steht. Langevins Frau veröffentlicht Briefe zwischen Curie und Langevin, wohl um ihre Position im sich anbahnenden Scheidungskrieg zu stärken.

nach Jahrzehnten erkannt wird.

eheliche Beziehung. Konservative Blät ter verteufeln die Frau, die sich wie ein Mann aufführe, die Polin, die eine fran zösische Familie zerstöre. Der Frem denhass gipfelt in der Schlagzeile „Ist Madame Curie Jüdin?“ – schließlich sei ihr zweiter Vorname Salomea. Ausgerechnet in dieser Zeit wird ihr zum zweiten Mal der Nobelpreis zugesprochen – diesmal in der Kate gorie Chemie für die Entdeckung der Elemente Radium und Polonium. Doch die Auszeichnung ist für Curie nur ein schwacher Trost. Sie zieht sich aus der Öffentlichkeit zurück, leidet enorm un ter den Anfeindungen.

inanziell profitiert Curie davon nicht. Das Ehepaar hatte bewusst auf ein Patent für ihr Herstellungs verfahren verzichtet: „Das Radium soll niemanden reich machen. Es ist ein Ele ment und gehört also allen Menschen.“ Freimütig verrät Curie sogar Konkur renten ihre Erkenntnisse. 1911 wird ein Platz in der Académie des Sciences, der französischen Aka demie der Wissenschaften, frei. Curie bewirbt sich um ihn. Doch die Frage, ob die Akademie auch Frauen aufnehmen soll, spaltet die Forschergemeinde. Ob

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LES PETITES CURIES „Die kleinen Curies“ werden die Rönt genwagen des Roten Kreuzes genannt

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PFLICHTBEWUSST Mit ihrer Toch ter Irène arbeitet Curie eng zusam men, auch im Ersten Weltkrieg für das Rote Kreuz (um 1915)

wohl viele die Nobelpreisträgerin für die beste Kandidatin halten, wird der Platz an einen Mann vergeben. Diese Wahl wird in der Presse heiß diskutiert, denn seit dem Nobelpreis steht Curie im Blickpunkt der Öffent lichkeit. Die Stimmung schwankt zwi schen Stolz und Skepsis. Die Situation eskaliert, als herauskommt, dass Marie

Als im Sommer 1914 der Erste Welt krieg ausbricht, stellt sich Marie Curie in den Dienst Frankreichs. Sie wird Leiterin des Röntgendienstes des Roten Kreuzes, baut 200 Röntgenstationen auf, bildet 150 Assistenten in der Dia gnostik aus. Um die Lazarette an der Front mit der neuartigen Medizintech nik auszustatten, rüstet sie 20 Autos mit der Röntgentechnologie aus. Sie macht den Führerschein, um die Autos selbst zu den Lazaretten zu fahren. ach dem Krieg kehrt Curie an ihr Institut zurück. Doch die Geld mittel sind knapp, auch wenn andere längst an ihrer Entdeckung ver dienen. Gegen die luxuriös ausgestatte ten Laboratorien anderer Forscher hat sie keine Chance. Die Entdeckerin des Radiums kann sich das Element nicht einmal zu Forschungszwecken leisten, denn ein Gramm kostet 100 000 Dollar. 1920 erhält Curie Besuch von der amerikanischen Journalistin Marie Mattingly Meloney. Das Interview wird den Mythos Curie begründen. Meloney ist tief beeindruckt von der Forscherin: „Dann öffnete sich die Tür, und ich sah eine blasse, schüchterne kleine Frau. Niemals zuvor hatte ich ein so trauriges Gesicht gesehen. Sie trug ein schwarzes Baumwollkleid. Ihr wunderbar sanftes und geduldiges Gesicht hatte einen ab wesenden, weltabgewandten Ausdruck, wie er Menschen eigen ist, die sich voll

FOTOS: BRIDGEMAN IMAGES, POPPERFOTO/GETTY IMAGES, UNIVERSAL IMAGES GROUP/AKG-IMAGES

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GROSSER EMPFANG Marie Curie schreitet 1921 zusammen mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten, Warren G. Harding, die Stufen zum Weißen Haus hinunter

nalistin erfährt, dass Curie selbst kein Radium mehr besitzt, startet sie in den USA eine Initiative, sammelt Geld, um der genialen Entdeckerin „ihr“ Radium „zurückzugeben“. Aus Dank reist Curie in die Verei nigten Staaten. Auch wenn sie sonst die

Marie Curie wird verklärt als bescheiden, idealistisch, selbstlos. Die Anerkennung kommt spät und ganz der Wissenschaft hingeben. Ich kam mir plötzlich sehr aufdringlich vor und wurde noch schüchterner als Frau Curie. Seit zwanzig Jahren arbei tete ich als Journalistin, aber ich brach te es nicht fertig, dieser wehrlosen Frau im schwarzen Baumwollkleid auch nur eine einzige Frage zu stellen.“ Meloney verklärt Curie als still leidende, idealistische Forscherin und aufopferungsvolle Mutter. Als die Jour

Öffentlichkeit meidet – sie weiß, dass sie sich den Spendern zeigen muss. Ihre Reise wird zum Triumphzug: Sie erhält zahlreiche Einladungen, Auszeichnun gen und Ehrenmitgliedschaften. Der amerikanische Präsident Har ding händigt ihr persönlich im Weißen Haus das Radium aus – wenn auch nur in einem symbolischen Akt, denn das Staatsoberhaupt soll nicht der Strah lung ausgesetzt werden.

Curie genießt die Aufmerksamkeit, fühlt Genugtuung, nachdem sie so lan ge in Frankreich ignoriert und kaum gefördert wurde. Was die Öffentlich keit nicht erfährt: Curie ist sehr krank. Während der Reise bricht sie zweimal zusammen. Sie leidet unter grauem Star, unter einem Tinnitus und chroni tion musste Jahre zuvor operativ ku riert werden, Gallensteine quälen sie. Langsam kann auch Curie nicht mehr leugnen, dass ihre Forschung sie krank gemacht hat. Trotzdem erreicht pektables Alter. Im Jahr 1934 stirbt Marie Curie mit 66 Jahren an „aplas tischer perniziöser Anämie“ – die von ihr erforschte Radioaktivität hatte die Blutarmut ausgelöst.

Martin Scheufens forschte als Physikstudent ein Jahr lang in einem Labor. Er ist dankbar, dass dieses im Sommer und im Winter bestens temperiert war.

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Die

Neuerfindung der Welt

Die Forscher des 19. Jahrhunderts haben nicht nur das Wissen der Menschheit ver ganz konkret unseren Alltag revolutioniert und sogar Millionen Leben gerettet: sieben genia le Innovationen, ohne die unsere Welt heute kaum vorstellbar wäre

SERIENREIF In dieser Glühlampe von Thomas Alva Edison leuchtet ein Platindraht (1881)

Von Alexander Stirn

er eine lässt Elefanten töten. Der andere setzt sich selbst unter Strom. Der eine ist ein emsiger Erfinder, der seine Ideen überall zusam menklaubt. Der andere ein verschrobe ner Forscher, der in seiner ganz eigenen Physikwelt verharrt. Die Anfangstage der Elektrizität

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gen geführte Auseinandersetzung. Es geht um nichts weniger als die Frage, welche Technik den Weg in die Zukunft weisen soll. Noch viele Jahrzehnte später werden Beobachter von einem „Stromkrieg“ sprechen. Der eine, das ist Thomas Alva Edi son, Erfinder und Geschäftsmann. Im

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Jahr 1879 verbessert er – nach Tausen den von Versuchen mit unterschied lichen Materialien – die Glühbirne so

ES WERDE LICHT Erste Fotogra fie einer leuchtenden Glühlampe 1883, mit Charles Batchelor, einem Vertrauten von Thomas Alva Edison

tender Glaskolben mit Gleichstrom, bei dem die Elektronen im Kabel stets in dieselbe Richtung wandern. Der andere, das ist Nikola Tesla, ser bischer Physiker, Idealist und einer der Väter der Wechselspannung. Die Rich tung des Stromflusses polt sich dabei ständig um, 60 mal pro Sekunde. Da ein wechselndes Feld, wie der Physiker Michael Faraday bereits 50 Jahre zuvor gezeigt hat, in einer anderen Leitung Strom erzeugen kann, ermöglichst dies faszinierende Dinge. Die Spannung lässt sich zum Beispiel „transformie ren“, also deutlich erhöhen oder ver ringern. Da der Widerstand in einem

HERR DER BLITZE Nikola Tesla weiß sich zu inszenieren: Das Foto ist eine Doppelbelichtung. Als die Funken schlugen, war er nicht im Raum

FOTOS: BPK/DEUTSCHES HISTORISCHES MUSEUM, PICTURE-ALLIANCE/ EVERETT COLLECTION, IMAGO, AKG-IMAGES/NIKOLA TESLA MUSEUM/ SCIENCE PHOTO LIBRARY

1893 Elektrizität Stromkabel umso geringer ist, je höher die Spannung gewählt werden kann, können Ingenieure Wechselspannung über Hunderte von Kilometern beinahe verlustlos transportieren, während sich Gleichstrom nur einige Hundert Meter weit übertragen lässt. Edison sieht seine Patente und da mit seine Geschäftsgrundlage in Ge fahr – und startet eine massive Gegen kampagne. Er beeinflusst Politiker und

NIKOLA TESLADer Erfinder (1856–1943) ist genial – und verschroben. Mythen ranken sich darum, was er alles in seinem Labor erfand

verfasst Pamphlete zu den vermeintli chen Gefahren der wechselhaften Strö me. Als das nichts hilft, tötet er Hun de, Kälber, sogar einen Elefanten mit Wechselspannung – ohne zu erwähnen,

dass Gleichstrom ebenfalls gefährlich ist. Edison schreckt nicht einmal da vor zurück, den Bau eines elektrischen Stuhls für Hinrichtungen zu propagie ren. Hauptsache, er wird mit der bösen Wechselspannung betrieben. Tesla reagiert. Bei Auftritten in sei nem Labor setzt er sich selbst Spannun gen von zwei Millionen Volt aus, ver sprüht Funken und überlebt dennoch

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trifizierung der Weltausstellung 1893 an die Wechselspannung geht, hat er gewonnen: Der Physiker Tesla setzt sich gegen den Tüftler Edison durch. Es siegt die wissenschaftlich und zugleich wirtschaftlich sinnvollere Alternative.

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GUGLIELMO MARCONI Der Tüftler

1886 Funkwellen

ls der Funke endlich überspringt, ist nichts mehr, wie es vorher war. In einem abgedunkelten Labor an der Karlsruher Hochschule hat Heinrich Hertz die Welt revolutio niert. Er hat – gezielt und mit großem Geschick – Radiowellen entdeckt. Nach diesem Novembertag im Jahr 1886 ist nicht nur die Physik, sondern auch die Kommunikation für immer verändert. Elektrizität, Magnetismus und Strahlung – drei scheinbar ganz ver schiedene Phänomene. Doch im 19. Jahrhundert realisieren Physiker, dass sie zusammenhängen. Auf welche Wei se, das beschreiben die eindrucksvol len Gleichungen, die der Brite James Clerk Maxwell 20 Jahre zuvor aufge stellt hatte. Ein elektrischer Strom, der schnell seine Stärke ändert, erzeugt demnach ein pulsierendes Magnetfeld, das wiederum ein schwankendes elek trisches Feld erzeugt und so fort. Eine Welle breitet sich aus – die sogenannte elektromagnetische Strahlung, zu der das sichtbare Licht gehört, aber auch die unsichtbaren Radiowellen. Doch Maxwells Ideen waren blanke Theorie. Für Heinrich Hertz, den Hamburger Rechtsanwaltssohn, sind sie aber mehr als das. Sie sind der Antrieb für seine Arbeit, für sein Experiment: Zwischen zwei hohlen, miteinander verbundenen Metallkugeln will Hertz elektrischen

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Strom extrem schnell hin- und herschi cken. Die Verbindung ist allerdings un terbrochen, in ihrer Mitte sitzen zwei kleine Messingkugeln, weniger als ei nen Zentimeter voneinander entfernt. In der Lücke erzeugt die Spannung oszillierende Funken – Mini-Blitze, in denen kurzzeitig starke Ströme fließen, genau wie von Maxwell berechnet. Sollten diese schwankenden Ströme tatsächlich eine unsichtbare Strahlung erzeugen, müsste in einigem Abstand

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HEINRICH HERTZ Obwohl der Physiker (1857–1894) früh an einer Gefäßerkrankung stirbt, prägt sei ne Arbeit bis heute unsere Welt

ein zweiter, zum Ring gebogener Draht in der Lage sein, die Wellen aufzufan gen. Die Strahlung müsste im Draht wiederum starke Ströme erzeugen, so dass zwischen seinen offenen Enden ebenfalls ein Funke entsteht. Und in der Tat: Es funkt. Heinrich Hertz, gerade einmal 29 Jahre alt, hat in seinem abgedunkelten Labor nicht nur die Existenz elektromagnetischer Wellen nachgewiesen. Er hat zugleich die ersten Radiosignale erzeugt, über tragen und empfangen. Anwendungen lassen nicht lange auf sich warten. 1895, ein Jahr nach Hertz’ Tod, gelingt es dem italieni schen Tüftler Guglielmo Marconi, auf dem Landsitz seiner Eltern in Venetien Radiosignale über Kilometer hinweg zu übertragen. Unterstützt vom deut schen Physiker Ferdinand Braun, der die Sendeelektronik und die Antennen verbessert, kann Marconi die Reichwei te schnell steigern – und Informationen in die Wellen einbetten. Er sendet Tele gramme über den Ärmelkanal und, im Dezember 1901, über den Atlantik. Acht Jahre später, die Funktechnik hat längst die weltweite Kommunika tion revolutioniert, erhalten Braun und Marconi den Physik-Nobelpreis – und das, obwohl Marconi nie die Hoch schulreife erreicht, geschweige denn regulär studiert hat.

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FOTOS: INTERFOTO, GETTY IMAGES/BETTMANN, SCIENCE PHOTO LIBRARY (2), BPK/ADOC-PHOTOS, IMAGO/LEEMAGE

schaften durch die Luft (um 1902)

Pioniere der Wissenschaft

as Experiment haben ande re Forscher vor ihm schon zur Genüge gemacht – ohne gro ße Überraschungen. Doch an diesem Abend, es ist der 8. November 1895, kommt der Zufall zu Hilfe. Wilhelm Conrad Röntgen, ein 50 Jahre alter Phy sikprofessor in Würzburg, experimen tiert mit sogenannten Kathodenstrah len. In einem Glaskolben, aus dem fast alle Luft gepumpt worden ist, erzeugt Röntgen eine starke Spannung zwi schen zwei Elektroden. Von der negativ geladenen Seite, der Kathode, machen sich daraufhin Teilchen auf den Weg zur positiven Elektrode. Sorgfältig deckt Röntgen seine Röh re mit dickem schwarzen Karton ab,

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und doch fängt in der Nähe des Auf baus plötzlich eine Mattscheibe an zu glimmen, die mit einem fluoreszieren den Material beschichtet ist. Offenbar dringt eine unsichtbare Strahlung aus der Glasröhre durch den Karton bis zur Mattscheibe und regt diese zum Leuch ten an. Röntgen nennt seine Entde ckung „X-Strahlen“, wegen ihrer noch völlig unbekannten Eigenschaften. Weitere Experimente im Würzbur ger Labor zeigen, dass Blei die seltsamen Strahlen abschirmt, dass menschliches Gewebe sie durchlässt, dass Knochen sie abschwächen. Röntgens Frau Anna Bertha ist die Erste, die das am eigenen Leib erleben darf: Der Physiker plat ziert ihre Hand über einer Fotoplatte, bestrahlt sie mit seinen X-Strahlen,

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ZÄSUR Erstmals blickt ein Mensch in sein Inne res: Das erste Röntgenbild der Geschichte zeigt die Hand von Röntgens Frau. Der Knubbel ist ein Ring

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und als er die Aufnahme entwickelt, ist da rauf nicht nur der dicke Ring seiner Frau zu erkennen, sondern auch die Struktur ihrer Handknochen. „Ich habe meinen Tod gesehen“, entfährt es Anna Bertha Röntgen erschrocken. Ohne es zu planen, hat ihr Mann, ein eher introvertierter Physiker, den

Grundstein für die Radiologie gelegt, die in den kommenden Jahrzehnten die Welt umkrempeln wird. Doch nicht nur in der medizinischen Diagnostik kom men Röntgens X-Strahlen zum Einsatz. Sie werden fast überall zu finden sein – von der Strahlentherapie über die Ma terialprüfung bis hin zur Grundlagen forschung, wo sie zum Beispiel bei der Analyse von Kristallen helfen. Nur sechs Jahre nach jenem denk würdigen Novemberabend erhält Wil helm Conrad Röntgen den ersten Phy sik-Nobelpreis. Der Forscher werde, wie es der Präsident der Königlich Schwe dischen Akademie der Wissenschaften bei der Bekanntgabe ausdrückt, für eine Entdeckung ausgezeichnet, die „für alle Zeiten mit seinem Namen ver bunden sein wird“: Röntgenstrahlen.

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1895 Röntgenbild -

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DIAGNOSTIK Röntgens Strahlen revo lutionieren die Medizin (Stich um 1900 von Richard Bong)

WILHELM CONRAD RÖNTGEN Über Nacht wird er (1845–1923) zu einem der berühmtesten Forscher der Welt

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Pioniere der Wissenschaft

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ie meisten genialen Erfinder

todidakten, Instinktmenschen. Sie nut zen ihre Intuition und feilen so lange an rauskommt. Nicolaus Otto erfindet auf

CARL VON LINDE Als Dank wird der Erfinder (1842–1934) zum Ritter ernannt

ie Grundlagen für die moderne Luftfahrt werden im Jahr 1889 gelegt – auf 187 Seiten und mit einem etwas sperrigen Titel: „Der Vo gelflug als Grundlage der Fliegekunst“ überschreibt der preußische Ingenieur

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AUFTRIEB Flugübung von Otto Lilienthal in Berlin-Lichterfelde (um 1894)

1891 Flugzeug 70

P.M. HISTORY – JUNI 2017

diese Weise 1876 den Viertaktmotor, Carl Benz patentiert neun Jahre später den ersten Motorwagen. Gemeinsam revolutionieren sie den Verkehr. Wis senschaftliche Methoden sind Tüftlern wie Benz und Otto allerdings fremd. Carl von Linde ist da ganz anders. Der Pfarrerssohn aus Oberfranken lebt für die Wissenschaft – allerdings nicht für trockenes „Buchwissen“, sondern für dessen praktische Anwendung. Sein Herz schlägt für die Wärmelehre, er studiert die Theorien von James Joule und Lord Kelvin, den beiden großen Männern der Thermodynamik. Einige ihrer Gesetze lauten: Die Energie in ei nem abgeschlossenen System ist stets konstant. Wird ein Gas zusammenge presst, erwärmt es sich. Und: Muss eine Flüssigkeit verdampfen, dann braucht sie dafür Energie. Viel Energie. Von Linde kombiniert all das. Er sucht nach technischen Anwendungen, ermittelt Wirkungsgrade und baut 1876 eine ausgefeilte Kältemaschine: Ein Kühlmittel, das bereits bei Minustem peraturen zu sieden beginnt, fließt

thal seine Erkenntnisse aus gut 15 Jah ren Forschung. Akribisch hat Lilienthal in jener Zeit den Flug von Störchen studiert. Er hat – gemeinsam mit sei nem Bruder Gustav – Flügel entworfen, verbessert, getestet, vermessen. Er hat als Erster nachgewiesen, dass eine ge

durch eine Röhre im Inneren des Kühl schranks. Es beginnt zu kochen, braucht dafür Energie und entzieht diese dem zu kühlenden Volumen. Außerhalb presst ein Kompressor das Kühlmittel wieder zusammen und verflüssigt es. Das Kühlmittel gibt dabei zwangsweise

KÄLTEMASCHINE Der Kompressor (links) „drückt“ die Wärme aus dem gasförmigen Kältemittel. Dieses wird flüssig und fließt innerhalb der Spira len (rechts) durch den Kühlschrank

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OTTO LILIENTHAL Dem Deutschen (1848–1896) ge lingen die ersten Gleitflüge der Menschheit

wölbte Fläche deutlich mehr Auftrieb erzeugt als ein flaches Brett. Otto Lilienthal, stets mehr Forscher als Ingenieur, ist der erste wissen schaftlich arbeitende Aerodynamiker der Geschichte. Vor allem aber ist er ein begnadeter Experimentator, der auch vor Risiken für die eigene Gesundheit nicht haltmacht: 1891, zwei Jahre nach Veröffentlichung seines bahnbrechen den Buchs, startet Lilienthal den ersten versuchen mit selbst gebauten Hängeglei tern. Die anfängli

1876 Kühlschrank seine Wärme auf der Rückseite der Käl temaschine an die Umgebung ab. Der Prozess beginnt von vorn. Die bayrischen und österreichi schen Brauereien, die bislang im Winter Zehntausende Tonnen Eis in ihren Kel lern einlagern mussten, sind die ersten Kunden – besonders als 1884 der drin gend benötigte Frost ausbleibt. Ende der 1880er-Jahre hat von Linde bereits 747 Kältemaschinen an fast 500 Brau ereien verkauft. 1913 geht in den USA schließlich der erste Kühlschrank in ei nem Privathaushalt in Betrieb. Von Linde, der erfolgreiche Ge schäftsmann, der König der Kältetech nik, hat sich da längst wieder der Wis senschaft zugewandt. Er verbessert seinen eigenen Kreisprozess weiter und weiter, bis ihm schließlich das schein bar Unmögliche gelingt: Carl von Linde kühlt Luft mit einem einfachen tech nischen Verfahren so stark ab, dass sie schließlich flüssig wird.

FOTOS: ALAMY, INTERFOTO, AKG-IMAGES (3), ZOONAR.COM/HEINZ-DIETER FALKENSTEIN, ACTION PRESS

VORLÄUFER Vor dem Kühl schrank kühlten Brauereien mit Eis aus den Alpen

chen Flüge sind nur kurze Hüpfer, doch später segelt Lilienthal von Hügeln in Brandenburg bis zu 300 Meter weit. Aufnahmen der spektakulären Flüge verbreiten sich in Zeitungen und Maga zinen rund um den Globus. Sein „Normalsegelapparat“, gesteu ert durch Verlagerung des Körper schwerpunkts, verkauft sich da durch neunmal und wird so zum ersten Serienflugzeug der Welt. Vor allem aber ist der Glei ter, wie Windkanalversuche mit einem originalgetreuen Nachbau 125 Jahre spä ter zeigen werden, bereits aero dynamisch stabil. Eine herausragende Leistung! Als die Brüder Wilbur und Orville Wright 1903 zum ersten dokumentierten Mo torflug der Geschichte auf brechen und das Zeitalter der Luftfahrt einläuten, vertrauen

die Amerikaner wie selbstverständlich auf die wissenschaftlichen Vorarbeiten aus Brandenburg. Otto Lilienthal erlebt das nicht mehr. Er stirbt im August 1896 nach einer Bruchlandung mit seinem Flug apparat – allerdings nicht, wie später

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Windkanalversuche zeigen, weil sein Flieger schlecht konstruiert ist. Der Pio nier der Aerodynamik wird vielmehr Opfer des Winds: Eine plötzliche Bö lässt den Auftrieb zusammenbrechen und reißt Lilienthal aus 15 Meter Höhe zu Boden.

DIE BRÜDER WRIGHT Wilbur (1867–1912) und Orville Wright (1871–1948) verhelfen dem Flugzeug als Verkehrsmittel zum Durchbruch – sie treiben es erstmals per Motor an

Pioniere der Wissenschaft

s ist ein seltsamer Stoff, den die Besucher der Londoner Weltaus stellung 1862 in die Hand nehmen können: eindrucksvoll wie wertvolles Elfenbein, dennoch zerbrechlich und leicht zu verformen. Alexander Parkes, gelernter Messingschmied und umtrie biger Erfinder aus Birmingham, hat sein „Parkesin“ in die Londoner Aus stellungshallen geschleppt – den ersten Kunststoff der Welt. Lange hat Parkes an seinem Wun dermaterial geforscht, einer Mischung aus Zellulose, Salpeter- und Schwefel säure, die zu einem sogenannten Ester reagieren. Der Clou liegt allerdings in einer ganz besonderen Zutat: Rizinusöl. Die hellgelbe Flüssigkeit schwächt die Wasserstoffbindungen zwischen den langen Molekülketten der Zellulose ab und verleiht Parkesin seinen flexiblen Charakter. Ist das Material heiß, kann Parkes es formen, pressen, gießen. Kühlt der Kunststoff ab, wird er hart und nimmt sein endgültiges Aussehen an: normalerweise durchsichtig, auf Wunsch aber auch grell leuchtend oder schimmernd wie Perlmutt. Außerhalb der Messehallen inte ressiert sich dennoch kaum jemand für die Knöpfe, Kämme und Messergriffe aus dem „künstlichen Elfenbein“, wie Alexander Parkes die Erfindung ver

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marktet. Zu schnell gehen sie kaputt, zu leicht brennen und verwittern sie. Als bald muss Parkes seine Kunststofffabrik wieder schließen. Doch das Material ist in der Welt,

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LEO HENDRIK BAEKELAND Der belgische Chemiker (1863–1944) schuf den ersten Massenkunststoff

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BAKELIZER behältern wurde Bakelit hergestellt

LOCHKNÖPFE Diese Knöpfe bestehen aus Stahl, wurden aber mit Zelluloid beschichtet – dadurch ähneln sie den edlen Varianten aus Tierhorn, sind aber bedeutend preiswerter

1907 Plastik 72

STECKDOSE Kunststoffe sind im Alltag so allgegenwärtig, dass man sie oftmals nicht mehr wahr nimmt

Ingenieur John Wesley Hyatt ersetzt das Rizinusöl durch Kampfer, ein farb loses Harz des gleichnamigen asiati schen Baums. Hyatt schielt auf einen mit 10 000 Dollar dotierten Preis für die erste Billardkugel, die nicht aus Elfen bein gemacht ist. Sein Stoff, er nennt ihn Zelluloid, ist dafür allerdings nicht stabil genug. Auch künstliche ZelluloidZähne, Hyatts nächste Idee, haben nur einen begrenzten Nutzen: Nach einem Schluck heißem Tee werden sie weich und geben nach. Der Erfolg kommt erst, als der Che miker Leo Hendrik Baekeland im Jahr 1907 nach jahrelanger Forschungs arbeit Bakelit präsentiert – den ersten Kunststoff, der komplett auf natürliche Zutaten verzichtet. Aus Phenol und Form aldehyd, zwei organischen Che mikalien, erschafft Baekeland eine wei che, warme Masse, die sich durch Druck in so gut wie jeden Alltagsgegenstand verwandeln lässt. Seine Produkte sind widerstandsfähig, auch Hitze kann ih nen wenig anhaben. Das Zeitalter des Plastiks hat endgültig begonnen.

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FOTOS: PICTURE-ALLIANCE/UNITED ARCHIV, HAROLD DORWIN/NATIONAL MUSEUM OF AMERICAN HISTORY/SMITHSONIAN, INTERFOTO/SCIENCE & SOCIETY, IMAGO/GERHARD LEBER, E. O. HOPPE/MANSELL/THE LIFE PICTURE COLLECTION/GETTY IMAGES, SCHERL/SÜDDEUTSCHE ZEITUNG PHOTO

P

flanzen benötigen für ihr Wachstum

1909 Kunstdünger

förmige Element ist ei gentlich im Überfluss vorhanden, denn Luft besteht zu fast 80 Prozent aus Stickstoff (und nur zu 20 Prozent aus Sauerstoff). Doch Pflanzen können es nicht aus der Luft direkt aufnehmen. Um zu wachsen, müssen sie den Stick stoff aus dem Boden saugen – in Form chemischer Verbindungen, aufbereitet von Bakterien. Ende des 19. Jahrhunderts bereitet dieser Umstand Politikern und Lebens mittelexperten zunehmend Sorge: Die Bevölkerung wächst und mit ihr der Hunger in der Welt. Um den steigenden Bedarf an Pflanzen – egal ob für Futter oder Nahrungsmittel – zu decken, müs sen die Ackerböden künstlich mit Stick stoff aufbereitet werden. Dazu setzen die Bauern auf einen Stickstoffdünger aus Südamerika: Chilesalpeter. Der Stoff ist allerdings teuer, der Transport langwierig, seine Vorräte sind begrenzt. Etwa im Jahr 1930, so die Vorhersage, wird der abbaubare Chilesalpeter aufgebraucht sein. Wäre

FRITZ HABER Sein Kunstdünger

rettete

krieg entwickelte der Chemiker (1868– 1934) aus Giftgas eine fürchterliche Waffe

AMMONIAKFABRIK Vier Jahre nach dem Durchbruch stellt BASF in Ludwigsha fen Ammoniak kom merziell her (im Bild: Arbeiter in einer britischen Fabrik)

es da nicht toll, wenn Menschen den Dünger aus Luft herstellen könnten? Künstlicher Dünger ließe sich aus Ammoniak machen – einem stechend riechenden Gas, das aus einem Stick stoff und drei Wasserstoffmolekülen besteht. Doch Forscher scheitern daran, Ammoniak im großen Stil zu produzie ren. Nach der Lösung suchen die An hänger eines noch jungen Teilgebiets der Chemie: Thermodynamiker versu chen – abhängig von Temperatur und Druck – zu berechnen, wie gut eine che mische Reaktion abläuft und wie hoch deren Ausbeute ist. Die Herstellung von Ammoniak braucht, so das Ergebnis der Berechnungen, einen hohen Druck. Hohe Temperaturen beschleunigen den Prozess, zersetzen das Ammoniak aller dings direkt wieder. Nach vielen missglückten Experi menten gelingt dem Karlsruher Chemi ker Fritz Haber gemeinsam mit seinem BASF Kollegen Carl Bosch schließlich

der Durchbruch. Haber benutzt einen Katalysator, zunächst aus Osmium, später aus Eisen, um die für die Reak tion benötigte Hitze zu verringern. Bei Druck von 200 Bar sowie Temperaturen bis zu 500 Grad Celsius gelingt 1909 die erste Ammoniaksynthese – „Brot aus Luft“, wie die Presse überschwänglich feiert. Es ist die Geburtsstunde eines der wichtigsten chemischen Verfahren: Künstlicher Dünger wird in den kom menden Jahrzehnten Millionen Men schen vor dem Hungertod bewahren. Ein Makel bleibt allerdings: Künst lich hergestelltes Ammoniak ist nicht nur ein optimaler Ausgangsstoff zur Produktion von Dünger. Es bildet auch die Basis für Sprengstoffe aller Art.

Alexander Stirn hat Physik in Würzburg studiert – und ist dort fast täglich ehrfürchtig an Wilhelm Conrad Röntgens früherem Labor vorbeigeradelt.

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Pioniere der Wissenschaft

Zum Vertiefen Buchtipps zum Titelthema von der Redaktion

FÖRDERLICHE KONKURRENZ Mit ihrer Forschung haben die beiden Mikrobiologen

AUF DER „BEAGLE“ Eine Reise zu den Orten, die der Begründer der Evolu tionstheorie einst besucht hat. Vom Autor so packend und fesselnd erzählt, als wäre man selbst dabei. Jürgen Neffe Darwin. Das Abenteuer des Lebens Bertelsmann / Goldmann, Seiten,antiquarisch

einig waren sich Koch und Pasteur so gut wie nie. Ein spannender Einblick in den Streit zweier Genies. Maxime Schwartz, Annick Perrot Robert Koch und Louis Pasteur. Duell zweier Giganten Theiss, 2015, 240 Seiten, 24,95 Euro

MEHR ALS NUR FORSCHERIN Über Marie Curie gibt es viele Biografien – etwa jene von Tochter Ève Curie sowie die grandiose, aber schwer erhältliche von Susan Quinn. Diese hier liefert eine kom pakte Einführung in das Leben und den Mythos der polni schen Wissenschaftlerin. Barbara Goldsmith Marie Curie. Die erste Frau der Wissenschaft

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GEGEN DEN STROM Alfred Wegener kämpfte gegen

vermeintlich

anschaulich dargestellt in einer der wenigen Biografien des rastlosen Querdenkers. Christine Reinke-Kunze Alfred Wegener. Polarforscher und Entdecker der Kontinentaldrift Birkhäuser, 1994, 192 Seiten, 49,99 Euro

FOTOS: AKG-IMAGES, PR (5)

SCHWIMMENDES LABOR Eine Forschungsreise – so wa gemutig wie triumphal. Neben offiziellen Berichten vereint das Buch Briefe des deutschen Zoologen von Willemoes-Suhm an seine Mutter – sie geben ei nen persönlichen Eindruck von der abenteuerlichen Reise. Rudolf von Willemoes-Suhm Die ChallengerExpedition. Zum tiefsten Punkt der Weltmeere 1872–1876 Römerweg, Edition Erdmann, 2015, 320 Seiten, 24 Euro

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Briefwechsel

„Bei jedem Wort musste ich weinen“ steigt kometenhaft vom Revolutionär zum Konsul auf, sogar zum Kaiser. Eine Schwäche hat er dennoch: die Frauen. An eine seiner Angebeteten, Joséphine de Beauharnais, schreibt er fast täglich Napoléon Bonaparte

m Spätsommer 1795 lernt der 26-jährige Napoléon Bonaparte die 32-jährige Marie Josèphe Rose de Beauharnais kennen, Tochter reicher Plantagenbesitzer aus Martinique und geschieden von einem französischen Marquis, der ein Jahr zuvor durch die Guillotine starb. „Joséphine“, wie er sie zärtlich nennt, hat zwei halb erwachse ne Kinder, Eugène und Hortense, zahl reiche Affären und findet den jungen, ehrgeizigen Offizier zunächst nicht so anziehend wie er sie. Ihr Mops soll in der ersten Liebesnacht das Bett geteilt und Napoléon in die Waden gebissen haben. Beide unterstellen sich Kalkül und nicht Liebe. Dennoch: Sie heiraten im Frühjahr 1796. 1804 krönt Napoléon Joséphine zur Kaiserin. „Ich liebe nur meine kleine, gute, schmollende, launi sche Joséphine, die beim Streiten eben so anmutig ist wie bei allem anderen.“ Anfang Dezember 1809 verkündet er die Scheidung, denn Joséphine kann keine Kinder mehr bekommen. Erst die mit ihm daraufhin zwangsverheiratete Marie-Louise von Österreich schenkt Napoléon den ersehnten Thronfolger.

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„Nur Du bereitest mir Sorgen, meines Lebens“ -

NAPOLÉON im Winter 1795/96

Sie dachten also, ich liebe Sie nicht um Ihrer selbst willen!!! Wer denn ist der Grund? Ach! (…) Ich gebe Dir drei Küsse: einen auf Dein Herz, einen auf Deinen Mund, einen auf Deine Augen. -

NAPOLÉON am 30. März 1796 aus Nizza

Adieu, Frau, Schmerz, Glück, Hoffnung und Seele meines Le bens, die ich liebe, die ich fürch te, die zärtliche Gefühle in mir weckt, Gefühle, die mich hinaus in die Natur ziehen, zu Ausbrü chen veranlassen, die so gewaltig

Napoléon Bonaparte (1769–1821) Der geborene Korse wird Erster Konsul der Französischen Republik und 1804 Kaiser. Nach dem verlo renen Russlandfeldzug und der Schlacht bei Waterloo muss er 1815 endgültig auf die Insel Sankt Helena ins Exil gehen, wo er 1821 stirbt.

sind wie der Donner. (…) Meine Soldaten erweisen mir unsagba res Vertrauen: Nur Du bereitest mir Sorgen, nur Du, die Freude und die Qual meines Lebens.

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geschehen, mich zu hassen, gut! Ich wünsche es, alles erniedrigt außer Hass, aber die Gleichgültig keit mit dem marmornen Puls schlag, dem starren Auge, dem eintönigen Gang!

NAPOLÉON am 22. April 1810 aus Compiègne

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NAPOLÉON am 16. Dezember 1809 aus Paris

Ich fand, dass Du heute schwächer warst, als Du es sein solltest. (…) Du musst Mut finden, um stark zu werden, um Dich nicht in finsterer Melancholie gehen zu lassen, um zufrieden zu sein. (…) Du darfst nicht an meiner beständigen

Meine Liebe! Ich erhalte Deinen Brief vom 19. April, er ist in schlechtem Stil abgefasst. (…) weil Du es nicht getan hast und weil ich alles das wollte, was Dir angenehm sein kann. JOSÉPHINE IM APRIL 1810 aus Navarra

Mein Sohn überbrachte mir soeben Deinen Brief. Mit Spannung habe ich ihn gelesen. Viel Zeit war dabei erfor derlich, denn bei jedem Worte musste

„Es gibt Empfindungen, die das Leben selbst sind und die nur mit dem Leben enden können“ Joséphine de Beauharnais (1763–1814) Ihre Zähne sind miserabel, ihre Haut makel los und ihre zierliche Gestalt (162 cm) ideal für den kleinen Napoléon (169 cm). Um ihr Schloss Malmaison legt die ten Garten an – mit allen da maligen Rosensorten sowie der in Europa neuen Kartoffel.

Die beiden heiraten im Frühjahr 1796, er zieht in den Krieg nach Italien, und sie lässt nach wie vor die meisten seiner Liebesbriefe unbeantwortet.

FOTOS: AKG-IMAGES

NAPOLÉON am 17. Oktober 1796 aus Modena

Deine Briefe (…) klingen nach fünfzehn Jahren Ehe. (…) Was bleibt Ihnen, um mich vollends beklagenswert zu machen: mich nicht mehr zu lieben, oh! Das ist

Freundschaft zweifeln, und Du würdest all meine Gefühle für Dich sehr schlecht kennen, wenn Du glaubst, ich könnte glücklich sein, wenn Du es nicht bist. JOSÉPHINE am 19. April 1810 aus Navarra

So fühle ich mich denn auch heute weniger unglücklich – glücklich zu sein wird überhaupt kaum noch möglich sein! (…) Eure Majestät werden in Ihrem Glück durch kei nerlei Äußerungen meines Kummers gestört werden! (…) Vertrauend in die Empfindungen, die Sie einst für mich hegten, werde ich neue Beweise nicht fordern. (…) Ich beschränke mich darauf, um eine Gnade zu bit ten: Möchten Sie geruhen, selbst nach einem Mittel zu suchen, mich (…) hin und wieder zu überzeugen, dass ich noch einen kleinen Raum in Ihrer Erinnerung und einen großen in Ihrer Achtung, in Ihrer Freundschaft einnehme.

ich weinen – diese Tränen aber waren gefunden (…). Es gibt Empfindun gen, die das Leben selbst sind und die nur mit dem Leben enden können. NAPOLÉON am 28. April 1810 aus Compiègne

Meine Gefühle für Dich ändern sich nicht, und ich wünschte sehr, Dich glücklich und zufrieden zu wissen. 1814 geht Napoléon ins Exil. Kurz dar auf stirbt Joséphine. Im April schreibt ihr Napoléon ein letztes Mal: „Finden Sie sich mit dem Schicksal ab so wie ich.“ Zitiert nach: Briefe Napoleon I. an seine Gemahlin Josephine und Briefe Jose phines an Napoleon und ihre Tochter, die Königin Hortense, Verlag Schmidt und Günther, Leipzig 1901. Sowie nach: Liebesbriefe an Jos e phine , herausgege ben von Jean Tulard, Verlag Zsolnay, Wien, 1983. Ausgewählt von Prof. Heike Gfrereis.

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Kriegsende Gewaltexzesse, sexuelle Übergriffe, Plünderungen: Die Menschen in Baden und Württemberg leiden in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs. Denn französische Soldaten rächen sich für die deutschen Verbrechen

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HÄUSERKAMPF Soldaten aus Frankreich im April 1945 in der Nähe der Stadt Baden-Baden

im

Südwesten

Von Jochen Metzger

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WACHT AM RHEIN Propaganda-Aufnahme der Nationalsozialisten von 1939: Deutsche Soldaten befestigen das Ufer des Rheins. Deutschland wird verteidigt, sollte die Botschaft sein. Den Vorstoß der Alliierten über den Fluss konnte die Wehrmacht nicht aufhalten

n das Wetter erinnern sich alle. „Schön, sehr schön“, sei das Frühjahr gewesen, „sehr sonnig, sehr warm“, berichtet einer der Zeit zeugen aus Baden. Trotzdem gehört der April 1945 zu den dunkelsten Monaten im Leben vieler Menschen im Südwes ten Deutschlands. Ende März trifft General Charles de Gaulle eine folgenschwere Entschei dung. Die 1. französische Armee unter dem Kommando von General Jean de Lattre de Tassigny hat das Gebiet west lich des Rheins besetzt. Jetzt müsse man sofort den Fluss überqueren – „auch wenn die Amerikaner dagegen sind und wenn es in Ruderbooten geschieht. Es handelt sich um eine Angelegenheit von höchstem nationalen Interesse.“ Natürlich haben die Deutschen bei ihrem Rückzug alle Brücken zerstört. Aber im nordbadischen Mannheim ist den Amerikanern der Übertritt über den Rhein schon gelungen. Jetzt stoßen sie nach Süden vor. Soll Frankreich ein

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fach zusehen, wie Nazideutschland al lein von Amerikanern, Engländern und Russen besetzt wird? Auf keinen Fall! Dass der Feind besiegt ist, steht ohnehin fest. Jetzt geht es darum, sich für eine

tion zu verschaffen. Um jeden Preis. Am Karfreitag 1945 werden mehre re französische Bataillone in die Nähe legt. Die meisten der Soldaten stam men aus Nordafrika. Der Auftrag, der ihnen bevorsteht, klingt nach reinem Wahnsinn: Sie sollen den Rhein über winden. Doch auf der anderen Seite des Flusses liegt deutsches Militär mit Ar tillerie und Maschinengewehren. Über das Wasser müssen die französischen Einheiten in Schlauchbooten und in Sturmbooten aus leichtem Holz fahren. Das ist kein Material, das einer Gewehr kugel standhält. Ein angeordnetes Him melfahrtskommando. Die Choreografie für den Angriff: Um vier Uhr, lange vor Sonnenauf

gang, soll die französische Artillerie das Feuer eröffnen und um Punkt fünf Uhr die letzte Granate gen Osten schi cken. In diesem Moment sollen dann an zwei verschiedenen Einstiegspunk ten die Sturmboote aus dem Schilf der verschlungenen Altrhein brechen und das badische Ufer im Sturm nehmen. in gewagter Plan – und schon zu Beginn droht er zu scheitern: Kei ner der Pioniere in den Booten hat seinen Einsatz an solchen Außenbord motoren je geübt, fast die komplette Ausrüstung der Truppe stammt von den Amerikanern. Nach dem Ende des Ar tilleriefeuers dauert es eine Stunde, bis die ersten Wasserfahrzeuge sich end lich vom Ufer lösen. Längst ist die Son ne aufgegangen – ihr Licht macht jedes Boot zum leichten Ziel für die deutschen Verteidiger. Tatsächlich wird die Atta cke am nördlichen Kampfabschnitt blu tig zurückgeschlagen. Nach Schätzun gen sterben an diesem Morgen mehr als

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Zweiter Weltkrieg

Die Sieger teilen Deutschland auf unter sowjet. Verwaltung

Königs berg

OderNeißeLinie Rostock

Danzig

Hamburg

unter polnischer Verwaltung

Ber lin

FOTO VORHERIGE SEITE: GUSMAN/LEEMAGE/PICTURE-ALLIANCE; FOTOS DIESE SEITE: PICTURE-ALLIANCE, INTERFOTO; KARTE: MICHAEL STACH, VORLAGE: DPA-INFOGRAFIK

NIEDERLANDE

Die „Großen Drei“ treffen sich im Juli 1945 in Potsdam: Winston Churchill, britischer Premier, posiert mit Harry S. Truman, US- Präsident, und Josef Stalin, sowjetischer Regierungschef (v. l.). Auf der Potsdamer Konferenz re den sie über die Zukunft Deutsch lands. Frankreich ist nicht beteiligt. Aufgeteilt haben die Alliierten Deutschland bereits auf der Kon ferenz von Jalta im Februar 1945.

BELGIEN

Ostpreußen

Pommern Stettin

Warschau Dresden

Düsseldorf

POLEN

Breslau Schlesien

Koblenz Frankfurt

TSCHECHOSLOWA KEI

autonomes Saarland

Besatzungszonen der Siegermächte im Sommer 1945 USA

FRANKREICH

München Freiburg

Linz

Wien

Sowjetunion Großbritannien Frankreich

SCHWEIZ

Innsbruck

Graz

Grenze des Deutschen Reichs 1937

ITALIEN

200 französische Soldaten. Doch weiter südlich, am Lingenfelder Altrhein, ge lingt es einigen Männern vom 4. ma rokkanischen Schützenregiment, einen kleinen Brückenkopf auf der östlichen Rheinseite zu halten. Mehr und mehr Boote überstehen jetzt an dieser Stel le die Todesfahrt. Und am Nachmittag

sind es, die stets an vorderster Front kämpfen und daher die meisten Opfer zu beklagen haben. Dass der Südwesten vor allem von Afrikanern erobert wur de, gehört heute zu den vergessenen Ka piteln der deutschen Geschichte. In den folgenden Tagen drängen mehr als 100 000 Mann über den er -

200 Soldaten sterben bei der Todesfahrt über den Rhein. Doch die Franzosen stürmen vorwärts steht fest: Der Kampf ist gewonnen. Die Soldaten haben einen großen Sieg für Frankreich errungen. Wie der gesamte Feldzug der franzö sischen Armee in Südwestdeutschland folgt auch das Gefecht von Germers heim einem Gebot: Man will schneller sein als die Amerikaner – trotz schlech terer Ausrüstung. Möglich wird das durch Soldaten aus den Kolonien. Sie

kämpften Rheinübergang ins heutige Baden-Württemberg. Danach geht al les sehr schnell. Bis zum Monatsende haben die französischen Truppen weite Teile Südwestdeutschlands und einige Gebiete im heutigen Österreich erobert. Was sich bei der Rheinüberquerung angedeutet hat, bleibt weiter französi sche Strategie: Immer wieder handelt die Führung eigenmächtig und gegen

die ausdrücklichen Absprachen mit den Verbündeten, etwa beim Vorstoß gegen Stuttgart. US-General Eisenhower tobt vor Wut, als die Franzosen die strate gisch wichtige Stadt übernehmen. Erst Wochen später und auf massiven Druck der Amerikaner werden sie Stuttgart wieder räumen. Insgesamt aber geht die Rechnung General de Gaulles auf: Frankreich hat sich durch die militärischen Erfolge und unter Aufopferung vieler eigener Soldaten eine bessere Position erarbei tet, als es darum geht, die Grenzen der vier Besatzungszonen auszuhandeln. Das Fait accompli, die vollendete Tat sache, wird auch hier zum Trumpf im Spiel der Macht. Die Befreiung der Deutschen von der Nazidiktatur, so hat Ex- Bundeskanzler Helmut Schmidt noch kurz vor sei nem Tod in einem „Zeit“-Interview er klärt, sei neben den Amerikanern auch den Briten und Russen zu verdanken. Die Franzosen erwähnte er mit kei nem Wort. Der Krieg – so die implizite

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Zweiter Weltkrieg

Aussage – wäre für die Alliierten auch ohne sie gewonnen worden. Zum Sinn bild für die Kriegsführung gegen einen bereits tödlich geschwächten Feind wurde die Eroberung von Freuden stadt im Schwarzwald durch franzö sische Einheiten. Am 16. April hat die deutsche Wehrmacht die Stadt bereits geräumt. Dennoch lässt General de Lattre de Tassigny sie zum Großteil dem Erdboden gleichmachen. „Ein Kriegs verbrechen“, urteilen Zeitgenossen auf deutscher Seite. „Ein Missverständnis“, heißt es später aus Frankreich. Und de Lattre de Tassigny selbst spricht von ei ner gerechten Rache für die Gräueltaten der Deutschen. „Fest steht, dass die Er oberung von Freudenstadt für die fran zösische Führung sowohl militärisch als auch symbolisch von allergrößter Wichtigkeit war“, erklärt die Histori kerin Ann-Kristin Glöckner, die an der Universität Magdeburg über die Zeit der

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französischen Besatzung promoviert. In der Tat urteilen Militärhistoriker, die anschließende Übernahme Südbadens durch die Franzosen sei nach den Ereig nissen von Freudenstadt nur noch ein „militärischer Spaziergang“ gewesen.

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ür die ersten Tage nach der er zwungenen Rheinüberquerung bei Germersheim trifft die lockere Me tapher allerdings keineswegs zu. Zehn Kilometer vom Rhein entfernt liegt dort im Hinterland ein Bauerndorf namens Graben. Die französischen Truppen erreichen die 2500-Seelen- Gemeinde am frühen Ostermontag. Was dort ge schieht, ist in den schriftlichen Quellen nur spärlich dokumentiert. Der Front bericht des Kommandeurs LieutenantColonel Clair berichtet von einem Ge fecht mit deutschen Truppen bei den Wäldern jenseits des Dorfes. Als die Deutschen sich zurückziehen, hat das

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4. marokkanische Schützenregiment mehrere Dutzend Männer verloren. Die schutzlosen Bewohner des Dor fes erleben danach einen Tag und eine Nacht voller Rache und Exzesse. Bis zum nächsten Morgen werden mehrere Hundert Mädchen und Frauen verge waltigt. „Der Vater aus dem Nachbar haus kam zu uns gerannt und rief: Mäd chen, lauft, versteckt euch, so schnell ihr könnt. Wenn ihr wüsstet, was sie gerade mit meiner Tochter angestellt haben!“, erzählt eine Zeitzeugin heute. Eine andere Überlebende, sie war da mals noch keine 15 Jahre alt, berichtet, dass nur eine Maskerade sie vor den Übergriffen der Sieger schützt: Man steckt sie in Männerkleider, die Tante schneidet ihr die Haare ab, während der Onkel einen jungen Hasen schlach tet, dem Mädchen das warme Blut über den Schädel fließen lässt, um diesen dann sofort zu verbinden. Das Mädchen

KAMPF IM WESTEN Französische Artillerie steht bei Langenargen am Bodensee. Nach 1945 wa daten stationiert

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bekommt einen Männernamen und verwandelt sich für einige Tage in einen Jungen, der bei den Kämpfen angeblich verwundet worden ist. „Als die Solda ten mich auf der Straße gesehen haben, haben sie gelacht und gesagt ,malade, malade‘. Ich habe auf den blutigen Ver band gezeigt und nur genickt.“ Solche Übergriffe sind in den letz ten Wochen des Kriegs kein Einzel fall. Tausende Frauen werden in Süd deutschland durch Angehörige der ein Tabuthema. Das französische Par lament wird in den 1950er-Jahren von „bedauerlichen Verirrungen“ sprechen. Der Kommandeur des 4. marokkani schen Schützenregiments schreibt je doch in seinem Bericht, die Anschuldi gungen seien „nichts als eine Legende“. Die Disziplin seiner Einheit sei „enorm“ gewesen – „jedenfalls besser als bei un seren (deutschen) Nachbarn“. Lediglich in Ausnahmefällen sei es zu Entglei sungen gekommen, die er aber streng geahndet habe. Fünf seiner Soldaten habe er persönlich für derlei Vergehen hinrichten lassen. Tatsächlich stand bei den Franzosen auf eine erwiesene Ver gewaltigung nichts Geringeres als die Todesstrafe. Auch von deutscher Seite wird lange geschwiegen. Erst 2015 erscheint mit Miriam Gebhardts Buch „Als die Solda

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lung, die sich mit den Vergewaltigungen durch die Westalliierten beschäftigt.

ORDEN FÜR DEN SIEGER Charles de Gaulle, Anführer des Freien Frankreichs, steckt General Jean de Lattre de Tassigny im Mai 1945 in Stuttgart eine Medaille an

die Landbevölkerung spricht 1945 von „den Schwarzen“ –, gilt inzwischen als widerlegt. Französische wie deutsche Zeitzeugen bestätigen, dass auch viele ehemalige Mitglieder der französischen Résistance sich zu solchen Racheak hat sich das Klischee vom sexuell unbe herrschten, vergewaltigenden Nordaf rikaner in den Köpfen der Deutschen bis heute gehalten. Eine Aufarbeitung hat

FOTOS: INTERFOTO, ADOC-PHOTOS/BPK

Die Vergewaltigungen im Weltkrieg sind ein Tabuthema. Opfer schweigen aus Scham Über die Vorgänge in Baden schreibt sie: „Besonders dort, wo die Armee heftige Gegenwehr erlebt, kommt es zu regelrechten ,Freinächten‘, bei de lang beim deutschen Feind in jeder Hin sicht bedienen. In vielen Dörfern sind es Dutzende von sexuellen Übergriffen.“ Dass die Täter aufseiten der Franzosen

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kaum stattgefunden. Zwischen Fran zosen und Deutschen kam es über viele Jahrzehnte zu einer – von beiden Regie rungen stark geförderten – Verbrüde rung. Gegenüber Marokkanern, Tune siern oder Algeriern gab es dergleichen jedoch nicht. „Gerade in den ländlichen Gebieten wurden die Vergewaltigungen in der Dorfgemeinschaft weitgehend ta buisiert“, sagt Ann-Kristin Glöckner.

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Natürlich: Auch vonseiten der Wehrmacht war es im besetzten Frank reich zu Vergewaltigungen gekommen. Und längst nicht immer sprach das Mi litärgericht die harten Strafen aus, die dafür offiziell vorgesehen waren. Viele Französinnen landeten gar als Zwangs prostituierte in Wehrmachtsbordellen. Generell, so urteilt Historikerin Birgit Beck, wurden solche Übergriffe häufig geduldet, meist bagatellisiert – und nur selten bestraft. Im streng pietistischen Bauerndorf Graben jedenfalls herrschen zunächst Scham und Schweigen. Es dauert fast 70 Jahre, bis die ersten Zeitzeugen offen von ihren Erlebnissen sprechen – und das, obwohl praktisch alle Familien des Dorfes betroffen sind: Viele der Frauen werden damals im nahen Kreiskran kenhaus gegen Geschlechtskrankhei ten behandelt, lassen ihr ungeborenes Kind illegal abtreiben; einige sind trau matisiert und nehmen sich das Leben, wieder andere bringen neun Monate später dunkelhäutige Kinder zur Welt. „Alle haben es gewusst, aber man hat nicht darüber gesprochen“, erzählt eine Dorfbewohnerin heute.

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FRANZOSEN AM BERGHOF Soldaten der 2. Panzerdivision in der Nähe von Berch tesgaden. Anfang Mai 1945 durchsuchen die Truppen Adolf Hitlers Sommerresidenz

Am 8. Mai 1945 ist der Krieg zu Ende. Es dauert bis in den frühen Au gust, ehe die Neuordnung des besieg ten Landes feststeht. Das Pots damer Abkommen gesteht den Franzosen eine eigene Besatzungszone zu. Sie umfasst vor allem die heutigen Bundesländer Rheinland-Pfalz und das Saarland so wie weite Teile des heutigen BadenWürttemberg. In den drei Monaten vor der Neu ordnung klagt die deutsche Bevölke rung immer wieder über Plünderungen durch die Besatzer. Französische Of fiziere haben das später in Interviews bestätigt. Für die Kampftruppen sei das „der Lohn für erwiesene Tapferkeit“ gewesen. Auch offizielle Enteignungen in den besiegten Orten finden oft nach reiner Willkür statt. Zu schlecht hat man sich in Frankreich auf die Rolle als Besatzungsmacht vorbereitet, zu ärm lich sind die Verhältnisse in der eigenen

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Heimat, als dass übermäßige Rück sichtnahme geboten scheint: 1945 ist Frankreich wirtschaftlich kaum weni ger ausgezehrt als der besiegte Feind im Osten. Und das Personal, das die besetz

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ten, Grenzkontrollen und Handelsbe schränkungen untereinander aufheben, schottet Frankreich seine Zone weit gehend ab. Ohne Genehmigung darf kein Arbeiter vom französisch besetz ten Rastatt nach Karlsruhe, Mannheim oder Heidelberg reisen. Als Millionen von Flüchtlingen aus den Ostgebieten in den Westen Deutschlands drängen, weigert sich Frankreich, die eigene Zone zu öffnen. Industrieanlagen wer den im großen Stil abgebaut und nach Frankreich gebracht. Im Schwarzwald werden unglaubliche Mengen an Holz geerntet und verkauft. Noch über Jahr zehnte sind diese „Franzosenhiebe“ in den Bergen sichtbar. Die Bevölkerung im Dorf Graben macht eine außergewöhnliche Erfah rung. Die Gemeinde liegt nördlich der A 8, die von Karlsruhe nach Stuttgart führt. Die Amerikaner beanspruchen diese Straße für sich und setzen sich damit durch. Nach drei Monaten un ter französischer Herrschaft kommen die Menschen aus Graben also unter US-Verwaltung. „Den Unterschied hat man jeden Tag gespürt. Alles wurde sofort leichter und besser“, berichten viele Zeitzeugen. Die Aussage ist kaum ein Zufall. Als man die Deutschen 1947 befragt, welchen Besatzern sie am meisten vertrauen, nennen 63 Prozent und nur vier Prozent die Franzosen. Für die Sowjets stimmte damals noch niemand. Die Umfrage verrät viel über

Die Franzosen sind im Westen die unbeliebtesten Besatzer. Sie schotten ihre Zone ab ten Gebiete verwaltet, zählt zunächst nicht unbedingt zur ersten Garde. Ein hoher französischer Beamter klagt in seinen Aufzeichnungen, er habe es bei seinen eigenen Leuten in Deutschland mit einer Art „administrativer Fremden legion“ zu tun. „Intriganten und üble Geschäftemacher“ seien dort am Werk. Während Briten und Amerikaner schnell die sogenannte Bizone einrich -

die Beliebtheit der Siegermächte bei der deutschen Bevölkerung – auch wenn die Zahlen von den Amerikanern stam men und entsprechend verzerrt sein dürften. Kurz vor ihrem Abzug aus Graben lassen die französischen Truppen noch rund 70 junge Männer in ihrem Haupt quartier antreten. Man wolle die Ent lassungspapiere aus der Wehrmacht

Zweiter Weltkrieg

BESETZT Die Franzosen, die so unter der deutschen Okkupation gelitten haben, wollen nach dem Krieg nicht leer ausgehen,

oder aus der Kriegsgefangenschaft prü fen. Eine Falle: Die Dörfler werden von Soldaten umstellt und als Zwangsar beiter ins Elsass verschleppt. Viele von ihnen kommen erst nach drei Jahren wieder zurück in ihre Heimat. Nicht alle überleben. Rund eine Million ehemali ge Soldaten landen nach dem Krieg in französischer Zwangsarbeit. ntsprechend kritisch urteilen viele Deutsche damals über ihre westlichen Nachbarn. SPD-Chef Kurt Schumacher bezeichnet die Fran zosen in der Nachkriegszeit abfällig als „Westrussen“. Noch in den 1980erJahren sprach der – wegen seiner NSVergangenheit umstrittene – Politologe Theodor Eschenburg davon, Frankreich habe seine Besatzungszone wie eine „Ausbeutungskolonie“ verwaltet. „In zwischen sehen Historiker die Dinge aber differenzierter“, sagt Ann-Kristin

FOTOS: ADOC-PHOTOS/BPK, INTERFOTO

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Glöckner. Denn anders als etwa die Amerikaner leiden viele Franzosen selbst nach Kriegsende noch lange unter akutem Hunger. Dreimal hat Deutsch land seit 1870 Krieg über seinen Nach barn gebracht. Verständlich, dass die Führung zunächst vor allem darauf bedacht ist, den Aggressor nicht wieder gefährlich werden zu lassen. Nach Aus wertung französischer Archivakten ist aber noch etwas anderes klar: Der Plan, Deutschland zum engen Verbündeten zu machen, existiert in Paris schon re lativ schnell nach Ende des Kriegs. Den noch dauert es Jahre, bis diese Politik ein größeres Gewicht bekommt. Als General hat Charles de Gaulle 1945 die Eroberung Süddeutschlands befohlen. 17 Jahre später erklärt er als Präsident die „Freundschaft zwischen dem französischen und dem deut schen Volk“ zu seinem Zukunftspro jekt. Im Januar 1963 unterzeichnen er

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und Bundeskanzler Konrad Adenauer einen deutsch-französischen Freund schaftsvertrag. Heute sind beide Län der wirtschaftlich und politisch zu den wechselseitig wichtigsten Partnern schaften im modernen Europa. Wunder sind offenbar möglich, auch in der Geschichte. Sie geschehen dort, wo Politiker aufhören, nach Schuld und Vergeltung zu fragen. Dass Deutsche und Franzosen einander noch vor we nigen Jahrzehnten als „Erbfeinde“ be trachtet haben, sich gegenseitig Gräuel taten zufügten – das klingt für heutige Ohren wie ein böses Märchen aus einer längst vergangenen Zeit.

Jochen Metzger hat den Ro man „Und doch ist es Heimat“ (Kindler, 2016) über das badi sche Dorf Sandheim im und nach dem Krieg geschrieben.

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1333 Grässliches Schauspiel Sie waren die besten Reporter der Geschichte. Diesmal im Originalton:

ie erste Stadt Indiens, die wir be traten, war Abuhar, klein, aber hübsch, mit vielen Gebäuden, Wasserläufen und Baumanlagen. Hier gibt es mit Ausnahme des Lotos keinen Baum unserer Heimat. Aber auch der Lotos ist hier außergewöhnlich stark entwickelt, und seine Frucht ist so groß wie ein Gallapfel und ungemein süß. Überhaupt begegnet man hier Blumen, die es bei uns und auch anderswo nicht gibt. Da ist beispielsweise der Mango baum, der den meisten Schatten wirft. Wer aber unter ihm schläft, wird von einem heftigen Fieber befallen. Von Abuhar durchquerten wir ei -

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Sie war von unzugänglichen Bergen umgeben, in denen ungläubige Inder lebten, die oft die Wege unsicher mach ten. Indiens Bewohner sind größtenteils Heiden. (…) Die dem Islam Widerstand leistenden Inder verteidigen sich in den Bergen und betätigen sich als Straßen räuber. Beim Aufbruch von Abuhar zog un sere Karawane am frühen Morgen los, während ich in der Gesellschaft meiner Gefährten bis zum Mittag in der Stadt blieb. Als eine Truppe von 22 Reitern, größtenteils Araber und Perser, ver ließen wir die Stadt. In der genannten Ebene griffen uns 80 Ungläubige zu Fuß und zwei Reiter an. Meine Reise gefährten waren jedoch kühne und ent schlossene Männer. Es entbrannte ein heftiger Kampf, bei dem wir einen Rei

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ter und zwölf Mann der Fußtruppe tö teten. Auch mich traf ein Pfeil, ein wei terer mein Pferd. Doch hielt Gott seine Hand über mich, sodass mir nichts ge schah; denn ihre Pfeile hatten nicht die durchschlagende Kraft. Ein weiteres Pferd wurde verwundet, weshalb wir es schlachten mussten. Den Türken unter meinen Leuten kam dies sehr gelegen; denn als Liebhaber von Pferdefleisch

Ibn Battuta (1304–um 1368) Er gilt als einer der größten Reisenden aller Zeiten. Mit 21 Jahren pilgert Battuta nach Mekka. Doch statt danach zurückzukehren, reist er 30 Jahre lang durch Nordafrika und Südasien bis hin nach China.

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aßen sie es gleich auf. Die Köpfe der er schlagenen Ungläubigen nahmen wir mit in das Kastell von Hisn Abi Bakhar, wo wir sie an der Mauer aufhängten. Als wir in die Stadt Ajudehen kamen und ich dem frommen Scheich Ferid ed-Din Grüße des heiligen Scheichs Burhan ed-Din al-Araj aus Alexandria überbrachte, liefen die Leute meines militärischen Schutzkommandos und einige meiner Gefährten plötzlich da von. Ich erkundigte mich nach ihrem Verhalten und bekam die Antwort, dass

ein ungläubiger Inder gestorben sei und man einen Scheiterhaufen angezündet habe, auf dem er und seine noch leben de Frau verbrannt würden. Nach diesem Ereignis kamen mei ne Leute zurück und berichteten mir, dass die Frau den Toten umarmt habe, bis sie selbst verbrannt sei. Später sah ich in Indien selbst solche Verbren nungen. Frauen der ungläubigen Inder hatten sich zu diesem Zweck festlich geschmückt und saßen hoch zu Ross, gefolgt von einer Volksmenge, darun ter auch Muslime. Vor der Witwe spielte man Pauken und Trompeten, während sie von Brahmanen – dies sind die Gro ßen Indiens – begleitet wurde. Soll im Hoheitsgebiet eines muslimischen Sul tans eine Witwenverbrennung stattfin den, so wird der Herrscher zuvor um Erlaubnis gefragt. Er erteilt sie auch. Ich selbst erlebte ein solches Schauspiel in der Stadt Amjhera, deren Bewohner, von einem muslimischen Gouverneur regiert, größtenteils Hei den waren. In der Umgebung der Stadt gab es ungläubige Rebellen, die einen schweren Straßenraub durchgeführt hatten, sodass sich der muslimische Emir entschloss, sie zu bekämpfen. Zwi schen seinen Truppen und den Räubern kam es zu einem heftigen Gefecht, in dessen Verlauf sieben Leute des Emirs den Tod fanden, die keine Muslime waren. Drei von ihnen waren verheira tet. Ihre Witwen entschlossen sich zur Verbrennung. Dieser Akt gilt bei den

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SATI In Indien fanden bis ins hinein Witwenver brennungen statt. Der soziale Druck trieb die Frauen zu dieser Tat (im Bild: Verbrennung von Ramabai Peshwa im Jahr 1772)

Indern als eine lobenswerte Tat, die je doch nicht Bedingung für eine Frau ist, die ihren Mann verloren hat. Tut sie es hingegen nicht, so zieht sie grobe Klei der an und wohnt bei ihren Verwand ten in der wenig geachteten Lage einer nicht treuen Frau. Gegen ihre persönli che Haltung kann sie jedoch nicht zur Verbrennung gezwungen werden. Lässt sie sich aber verbrennen, so erntet ihre Verwandtschaft dadurch große Ehren, und sie selbst wird noch lange wegen ihrer Treue gerühmt.

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wurden Trommeln gerührt und Trom peten und Hörner geblasen. Alle Un gläubigen riefen ihnen zu: „Überbringt Grüße meinem Vater oder meinem Bru der oder meiner Mutter oder meinem Herrn!“ Die Witwen antworteten: „Ja, ja“, und lächelten den Leuten zu. Meine Gefährten und ich stiegen vom Pferd, um mitzuerleben, wie sich die Frauen bei ihrer Verbrennung verhalten wür den. Wir gingen mit ihnen ungefähr drei Meilen weit, bis wir an einen düs teren Ort mit viel Wasser und großen,

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FOTOS: ©MUSEUM ASSOCIATES/LACMA, YVAN TRAVERT/AKG-IMAGES, PR

Sie faltete die Hände über dem Kopf und stürzte sich in das Feuer Nachdem die drei Witwen der ge fallenen Soldaten übereingekommen waren, sich verbrennen zu lassen, ver brachten sie zuvor drei Tage mit Ge sang, Musik, Essen und Trinken, als wollten sie zum Abschied noch einmal die Genüsse dieser Welt in ihrer Fülle erleben. Von allen Seiten wurden sie von Frauen besucht. Am Morgen des vierten Tages brachte man jeder von ihnen ein Pferd. In vollem Schmuck und stark parfümiert bestiegen sie die Rösser, mit der rechten Hand mit einer Kokosnuss spielend, in der linken einen Spiegel haltend, in dem sie sich dauernd betrachteten. Die Brahmanen und ihre Verwandten begleiteten sie. Vor ihnen

schattigen Bäumen kamen. Zwischen diesen Bäumen erhoben sich vier Kup pelbauten, die jeweils ein steinernes Götzenbild enthielten. Von den Tem peln umgeben, lag ein Weiher, über dem dichter Schatten ruhte, sodass die Sonne nicht durchdringen konnte. Es war ein Platz wie ein Tal der Hölle – Gott bewahre uns davor! Als ich diese Tempel erreicht hatte, stiegen gerade die Frauen am Weiher ab und tauchten im Wasser unter. Sie leg ten Kleidung und Schmuck ab und ver teilten alles als Almosen an die Leute. Man brachte jeder ein grobes, ungenäh tes Baumwollgewand, das sie teils um ihre Lenden befestigten, teils um Haupt

und Schulter legten. In einer Niederung nahe des Weihers waren bereits die Feuer entzündet, in die man Sesamöl goss, damit die Flammen recht hoch

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ner mit Bündeln von Holzspänen und weitere zehn mit langen Holzstangen. Die Trommelschläger und Trompe tenbläser erwarteten die Frauen. Mit einem großen Vorhang entzogen die Männer das Feuer den Blicken der Witwen. Da sah ich eine Frau, wie sie dem nächsten Mann den Vorhang ent riss und rief: „Willst du mich mit dem Feuer erschrecken? Weiß ich doch, dass es Feuer ist! Mach mir Platz!“ Lä chelnd faltete sie die Hände über dem Kopf zusammen als Huldigung für die Flammen und stürzte sich in das Feuer. Hörner und Trompeten erklangen, die Männer warfen das Holz auf die Frau und drückten ihren Körper mit den Stangen nieder, damit sie sich nicht etwa bewege. Ein ungeheures Ge schrei erhob sich. Als ich dieses gräss liche Schauspiel sah, wäre ich beinahe ohnmächtig umgefallen, hätten mich meine Gefährten nicht mit Wasser er

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sicht waschen und eilte nach Hause. -

Entnommen aus: Ibn Battuta Reisen ans Ende der Welt Durch Afrika und Asien (1325–1353) Verlagshaus Römerweg, Edition Erdmann, Wiesbaden 2013, 320 Seiten, 24 Euro

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PRIVATGARTEN Ein Ort der Ruhe, gern mit Blick aufs Meer: Sir Lawrence AlmaTadema (1836–1912) aller Rosen“ in einem römischenGarten

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Antike Gartenoasen „Wenn du ein Gärtchen hast und eine Bibliothek, so wird dir nichts fehlen“, wusste schon Marcus Tullius Cicero. Die Griechen philosophierten gern Wasserbecken. Ein Überblick über die Grünflächen der Antike Von Tanja Beuthien arfuß durch den Garten! Unter den grünen Weinlauben über weichen, elastischen Boden. Die Wege gesäumt von Buchs und Rosma rin, die Feigen und Maulbeerbäume in voller Pracht. Am Ende der Terrasse dann das Gartenhaus – mit Blick aufs Meer. Ein Ort der ungestörten Erho lung. Ein Refugium, fernab von Hektik und Lärm der Großstadt. Oder, wie Pli nius der Jüngere (ca. 62–115 n. Chr.), viel beschäftigter Anwalt aus Rom, es ausdrücken würde: „Kein Zwang, die Toga anzulegen, kein Mensch in der Nähe, der mich stört.“

FOTOS: BRIDGEMAN IMAGES, AKG-IMAGES

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Römische Refugien In der Nähe von Ostia, in Laurentum, direkt am Meer, lag seine Villa mit Gär ten, Wandelhallen, Spazierwegen und Brunnen, mit Obstbäumen, Weinreben und Olivenhainen. Eine herrschaftliche Residenz, mit Bauernhof zur Selbstver pflegung nebenan. In der Toskana be saß Plinius noch ein weiteres Gut, leicht

LANDSITZ Plinius leistete sich zwei Villen, eine in der Toskana (hier die Rekonstruktion von Karl F. Schinkel), eine weitere bei Ostia GENAU GEPLANT la in Laurentum ist nicht bekannt, wohl aber der Grundriss. Er beschrieb ihn in seinen Briefen

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Antike Gärten

erhöht, mit einer spektakulären Aus sicht, mit Platanen und Terrassen, mit Weinbergen und sogar einer Reitbahn, umgeben von Zypressen und Rosen. Das Leben als Gutsherr begeisterte ihn. Seine Briefe, erst 1419 wieder entdeckt, feiern die Schönheit seiner Parks in allen Details und inspirieren die euro päische Gartenkunst in den folgenden Jahrhunderten – obwohl es Archäolo gen bis heute nicht gelungen ist, Über reste der Residenzen zu finden oder machen. Seit der Renaissance versuchte man, einzelne Elemente der von ihm struieren. In der königlichen Villa Pog gio Reale in Neapel übernahm man die Reitanlage, das viel gelobte Hip podrom, als Erweiterung der Gärten. Auch in der Villa Lante bei Viterbo, im 16. Jahrhundert von Giacomo Barozzi da Vignola geplant, tauchen Details des antiken Vorbilds wieder auf. So wie der steinerne Tisch, der, wie Plinius selbst beschreibt, Wasser in „einem zierli chen Marmorbecken“ festhält und „auf verborgene Weise so reguliert, dass es das Becken füllt, aber nicht überlaufen lässt“. Ein wahrer Partyknüller. Denn:

KRÄUTERGARTEN Wer es sich leisten konnte, wie die beiden freigelassenen Sklaven Aulus Vettius Conviva und Aulus Vettius Restitutus in Pompeji, unterhielt im Innenhof des Hauses einen Kräutergarten, der in der Sommerhitze verführerisch duftete

„Das Geschirr mit den Vorspeisen und die schweren Gerichte werden auf den Rand gestellt, leichtere schwimmen in Gefäßen in Gestalt kleiner Schiffe und Vögel umher.“

Pompejischer Protz Der Garten in der Antike war, nicht anders als heute, nicht nur ein Ort der Muße und Erholung – sondern auch

der Selbstdarstellung. Ein schönes Bei spiel findet sich in einem Stadtgarten aus derselben Zeit, im Haus der Vettier in Pompeji, das heute noch zu besich tigen ist. In der Mitte schließt sich ein Säulengang rings um den Hof, den man „Peristyl“ (von peri: „um herum“ und stylos: „Säule“) nennt. Dieser ist ge schmückt mit Wasserbecken und Mar morbänken und vor allem mit zwölf kleinen Brunnenfiguren aus Marmor und Bronze. Solche Figuren wurden in Griechenland in Auftrag gegeben und

DEKOGARTEN Viele Innenwände der Häuser Pompe jis waren oft üppig mit Gartenszenen bemalt

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GARTEN DES WISSENS Iman tiken Griechenland waren manche Schulen, wie hier die Akademie der Stadt als Gärten angelegt

FOTOS: ALBUM/PRISMA/AKG-IMAGES, CULTURE-IMAGES, DE AGOSTINI/GETTY IMAGES

dort in Spezialwerkstätten hergestellt. Im Jahr 1907 barg man vor der afrikani schen Küste ein Schiffswrack, das wohl um 100 v. Chr. untergegangen war. An Bord: Skulpturen, Gartenmöbel und Gerätschaften – alles zur Ausstattung römischer Villenhaushalte. Zum Lustwandeln blieb in solch aus staffierten Höfen kein Platz mehr, An lagen wie im Haus der Vettier dienten daher wohl vor allem als Blickfang für wurde Pompeji an das Aquädukt und damit an die allgemeine Wasserver sorgung angeschlossen. Wohlhabende Privatleute ließen sich eine eigene Was serleitung legen und stellten mit einer Vielzahl an Brunnen und sprudelnden Quellen ihren Reichtum zur Schau. Der säulenumstellte Innenhof war ein typisches Element römischer Archi tektur. Verborgen vor den Augen der Passanten bildeten die Höfe kleine pri vate Oasen für ihre Bewohner. Wichtig war das Wasserbecken, das Erfrischung und Kühlung versprach. An kleinen Hausaltären gedachte man der Götter. Verschiedentlich wurden auch, wie im Haus des Fauns in Pompeji, Obstbäume gezüchtet und Gemüsebeete angelegt. Im sogenannten Haus des Polybius fanden Archäologen Überreste von Fei gen-, Kirsch-, Birnen- und Olivenbäu men. Und der Feinschmecker Lucullus (117–56 v. Chr.) soll als hochrangiger Offizier beim Militär Aprikosen und Pfirsiche aus Kleinasien für seinen Gar ten mitgebracht haben.

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Griechische Philosophenhaine Auch im alten Griechenland gab es schon Peristylhöfe. Seit dem 5. Jahr hundert v. Chr. gehörten sie zu den Standards der Palastarchitektur. Aller dings waren die Höfe dort nicht grün

bepflanzt, sondern mit Mosaiken ge schmückt, und auch einen Wasserzu gang gab es noch nicht. Die Bebauung in antiken griechischen Städten war zu eng, die Häuser lagen dicht beieinander, und für üppige Gärten war schlichtweg kein Platz. Diese befanden sich statt dessen außerhalb der Stadtmauern und waren eher als Küchen- oder Obstgär ten angelegt. Reine Ziergärten galten als Luxus. Eine Ausnahme bildeten die Sportstätten für die Jugend, die soge nannten Gymnasien. Sie lagen in was serreichen Gegenden unter alten Plata nen und Olivenbäumen. In ihrer Nähe befanden sich auch die Gärten der Philosophen, wie Pla dem Hain des sagenhaften attischen Helden Akademos. Um 388 v. Chr. kaufte Platon das Gelände für stolze

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wenig später schon 8000 Minen dafür, während weiter außerhalb, vor den To ren Athens, schon kleinere Grundstü cke für lediglich 200 Minen zu haben waren. Ein Mosaik, das heute im Ar chäologischen Nationalmuseum Neapel (1. Jahrhundert n. Chr.) zu sehen ist, zeigt eine Gruppe bärtiger Männer in angeregtem Gespräch auf einer halb runden steinernen Bank unter einem schattigen Baum, im Hintergrund ist eine befestigte Stadt zu sehen. Vermut lich handelt es sich bei der Darstellung um Platon im Kreise seiner Schüler im Garten. Die Römer zerstörten die Aca demia des Philosophen im März des

kleinen Hain. Das Mosaik aus einer Vil la in der Nähe von Pompeji legt jedoch nahe, dass sie die Vorstellung einer Philosophenschule im Grünen mit nach Hause nahmen.

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Ägyptische Anbetungen Schon 2000 Jahre früher muss es pri vate Gärten auch in Ägypten gegeben haben. Wie sie wohl ursprünglich aus gesehen haben, zeigt das Modell eines Hauses (Metropolitan Museum of Art, New York) aus dem Grab des ägypti schen Beamten Meketre: Dargestellt ist ein ummauerter und mit hohen Bäumen Chr.). Typisch für diese Art von Anlage waren die hohe Umfassungsmauer, ein Brunnen oder Bassin in der Mitte und ein Pavillon zum Gebet, oft mit einem Opfertisch. Bepflanzt waren diese ägyptischen Gärten, die sich nur sehr reiche und mächtige Leute leisten konnten, mit Dat telpalmen, Lotus, Papyrus und eventu ell sogar mit Blumen wie Klatschmohn und Chrysanthemen. Natur und Frucht barkeit waren im Verständnis der Ägyp ter Geschenke der Götter. Wasserquel len und Bäume waren Symbole des Lebens und die Anlage eines Gartens immer auch eine Art Gottesdienst. In einem ägyptischen Totenbuch heißt es: „Gewähre, dass ich ein- und ausgehe in meinem Garten, dass ich mich kühle in seinem Schatten, dass ich Wasser trin ke aus meinem Teich jeden Tag, dass ich lustwandle am Ufer meines Teiches

IM KASTEN Ägyptische Gärten waren oft von Mauern umfasst, wie diese rund 4000 Jahre alte Grabbeigabe zeigt

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ohne Unterlass, dass meine Seele sich niederlasse auf den Bäumen, die ich gepflanzt habe, dass ich mich erquicke unter meinen Sykomoren.“

Legendäre Gärten -

Gärten mit ägyptischen und griechi schen Zitaten galten später auch als schick bei den wohlhabenden Römern.

WASSERSPIELE Das Becken in der Villa Adria na soll eine ägyptische Nillandschaft darstellen

Kaiser Hadrian (76–138) etwa, der auf ausgedehnten Reisen in die römischen Provinzen sowohl Griechenland als auch Ägypten besucht hatte, baute in seiner 125 Hektar großen Sommerresi denz in Tivoli ein lang gestrecktes Was serbecken ein, das „Canopus“ genannt wurde – nach einem Arm des Nils, der nach Alexandria führte. Geschmückt war der überdimensionierte Pool mit Statuen und steinernen Krokodilen. Es gab eine griechische Bibliothek, mehre -

Antike Gärten

FOTOS: THE METROPOLITAN MUSEUM OF ART, BRIDGEMAN IMAGES, MARCO RUBINO/FOTOLIA

re römische Thermen, Banketthallen, eine künstliche Insel, Wasserspiele und Fischteiche. Die Villa als Spiegel der Welt – und der Weltläufigkeit. Die Überreste der beeindrucken den Villa Adriana können heute noch besichtigt werden. Von einem weite fehlt dagegen jede Spur: Die Hängenden Gärten von Babylon, in der Antike als eines der sieben Weltwunder gerühmt, sind bis heute verschollen. Der griechi sche Geschichtsschreiber Strabon be schreibt die treppenförmig ansteigende Terrassenanlage: Pfeiler, „hohl und mit Erde gefüllt“, trugen angeblich mehre re Tonnengewölbe aus Ziegelstein. Be wässert wurden die Pflanzen mit einem Pumpensystem aus dem nahe gelege nen Fluss Euphrat. Der Bau der Gärten, ursprünglich der Königin Semiramis zugeschrieben, geht wohl auf den später regierenden König Nebukadnezar II. (640–562 v. Chr.) zurück. Er soll die schwebenden Gärten für seine Frau angelegt haben, die aus Medien, dem heutigen Iran, stammte und sich nach den grünen Gegenden ihrer Heimat sehnte. Der deutsche Archäologe Robert Koldewey (1855–1925) glaubte in einem der von ihm entdeckten Paläste Nebukadnezars die Terrassen zu erkennen. Allerdings liegen diese nicht direkt am Fluss. Und die Ausmaße sind auch viel geringer als die ursprünglich beschriebenen 120 mal 120 Meter. Kai Brodersen, Profes sor für Antike Kultur an der Universität Erfurt, geht deshalb schon seit Länge rem davon aus, dass die Hängenden Gärten womöglich nie existierten.

Der ideale Garten Auch von den römischen Gärten ist nicht viel geblieben. Erhaltene Fresken aus dem Haus des goldenen Armreifs in Pompeji oder der Villa der Livia in Rom zeigen, wie der ideale Park ausgesehen haben muss: Rosen und Lilien wuchsen dort, Oleander, Veilchen, Schneeball und Immergrün, Zitronen und Oran genbäume. Dennoch war der römische

WELTWUNDER Babylons König Nebukadnezar baute die Hängen den Gärten für sei ne heimwehkranke Frau (Bild: Engl. Schule, 20. Jh.)

Garten „vor allem ein grüner Garten“, schreibt die Kunsthistorikerin Stepha nie Hauschild in ihrem gerade erschie nenen Buch „Akanthus und Zitronen“. „Blumen als Zierde spielten fast keine Rolle.“ Sie wurden, wie Rosen und La vendel, als Grundlage für Parfüm, Sal ben und Heilmittel gezüchtet. Oder für Kränze, die man bei Banketten trug, an Festtagen oder zum Totengedenken. Auch Plinius nennt nur wenige, vor al lem immergrüne Pflanzen wie Buchs und Akanthus, Platanen, Maulbeerbäu me, Oliven, Lorbeer, Efeu, Wein und Zypressen. Der römische Schriftsteller Lucius Columella, ein Zeitgenosse des Plinius, plädierte allerdings in seinen Schriften

über den Gartenbau und die Landwirt schaft für Blumen als Blickfang. Sie seien die „Sterne der Erde“ und sollten Farbe und Abwechslung in den Gar befall riet er überdies dazu, eine junge Frau mit aufgelöstem Haar und nack ten Füßen um Beete und Gartenzaun herumzuführen. Ob Plinius in seinen Parkanlagen mit dieser Art von Schäd lingsbekämpfung arbeitete, ist nicht be kannt.

Tanja Beuthien interessiert sich besonders für die kleinen anti ken Stadtgärten – ihr eigener ist schließlich auch kaum mehr als 30 Quadratmeter groß …

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WAAGERECHT: 1 Lehre vom Bau der Erd kruste 9 Poet.: Atem 13 Reifeprüfung (Kf.) 16 Einfall 17 Orient. Warenmarkt 18 Geruch, Geschmack (Mz.) 19 Aufrollbarer Lichtschutz 2 0 Sitz des Denkvermögens 2 1 Vorname der „Lollo“ 2 2 Engl. Künstlerin (Tracey) 2 3 Stadt an der Bi a a (Polen) 2 4 Stimmlage 2 5 Weizenart 2 7 Vorn. des US-Politikers Sanders 2 9 Weibl. Kosename 3 0 Erfindung, Erdachtes 3 3 Nicht erforderlich 3 8 Skandal 40 Ein radioaktives Metall 4 2 Frauenname 4 4 Nordspan. Grenz stadt 4 5 Fahne, Banner (veralt.) 4 6 Bodenfläche 4 8 Rinnstein 4 Islam. Geistlicher 51 Weibl. Vorname 5 2 Operat. Betriebsergebnis (Wirtsch.) 53 Poln.-frz. Chemikerin, Physikerin (Marie) † 1934 5 Tragbarer Computer 57 Gewichts einheiten (Kf.) 5 8 Gebundenes Tonstück 60 Eh. türk. Münze 6 2 Erhitzung von Erzen 6 5 Abgeschrägte Kante 6 7 Deckschicht 6 8 Griech. Küstenlandschaft 6 9 Wüste in Chile 71 Ital. Männerkurzname 72 Vulkan in Kolumbien 74 Dt. Autorin (Annette) † 1967 76 Schiffsbesatzun gen 79 Stadt und Fluss in Tschechien 8 0 Röm. Liebesgott 8 2 Hawaii-Insel 8 3 Warthe-Zufluss in Polen 8 5 Alarmgerät 8 7 Dt. TV-Musikpreis 8 Wochenabschnitte 9 1 Altes engl. Kohlenmaß 9 Wellenbrechender Uferschutz 9 4 Sitzmöbel teile 9 6 Gebäudeveränderung 9 8 Griech. Insel 101 Europ. Vulkan (ital.) 102 Schwed. Verwal tungseinheit 103 Dt. Physiker † 1923 104 Ugs.: Düsenflugzeug 105 Laubbäume 106 Heimliches Gericht 107 Inhaltslosigkeit SENKRECHT: 1 Hebriden - Insel 2 Hochland am Toten Meer 3 Orientteppich 4 Administrations tool (EDV) 5 Histor . Westslawe 6 Bergstämme in Indien 7 Rhone-Zufluss 8 Wasserfahrzeug 9 Griech . Sagenheld 10 Engl. Naturforscher (Charles) † 1882 11 Feldertrag 12 Leichter Betrug 13 O rganische Basen 14 Stadt in Gauteng (Südafrika) 15 J ap . Reisgott 26 W issenschaft von den Mikroorganismen 2 7 Kalter Adria wind 2 8 Männl . Kurzname 30 Südfrucht 31 Verschlusslaut 32 Ausruf der Verwunderung 3 4 Marschall Napoleons III. 35 Stadt in Nebraska (USA) 36 Fluss d urch Mittelengland 37 Insel -

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Das Lösungswort ergibt sich aus den Buchstaben in den gelben Feldern – in richtiger Reihenfolge geordnet. Unter den Einsendern des Lö sungsworts verlost P.M. HISTORY ein Samsung Galaxy Tab A 7.0 WiFi

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Lösungswort

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Teilnahme Sie haben zwei Möglichkeiten, das Lösungswort an P.M. zu übermitteln:

gruppe , Ziel vieler Evolutionsforscher 39 Anlass, Veranlassung 4 1 Sehr betagt 4 3 Gewürz pflanze 4 5 Stadt in Ungarn (dt.: Fünfkirchen) 47 Schweiz. Münze 4 9 Rotes Tuch der Stierkämpfer 5 0 Wettkampfklasse 5 4 Dt. Verband für Arbeit sstudien (Abk.) 55 EU-Luftsicherheitsbehörde (Abk.) 57 Schweiz.: Geländekamm 59 Aufmerk samkeit 6 1 Außerirdischer (engl.) 6 3 Hast 6 4 Nordkaukas. Halbinsel 6 6 Fluss in Kasachstan 70 Küstenstadt in Venezuela 73 Engl.: Irland 74 Dt. Bakteriologe (Robert) † 1910 75 Hauptstadt von Togo 77 Früher: Ukrainer 78 Dt. Geo phy siker (Alfred ) † 193 0 8 1 Schweiz. Stararchitekt (Pierre de) 8 4 Frauenname 8 5 Einhand ruder 8 6 Teile des Weinstocks 8 8 Schmeichelei, Lobrede 9 0 Weibl. Vorname 9 2 Ein Südafrikaner 9 3 Kath . Stundengebet 9 5 Trag- und Reittier in südl . Ländern 9 7 Monatsname 9 9 Kfz-Z. Bad Hersfeld 100 Europ . Autorennserie (Abk.)

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Lösung aus Heft 05/17 Lösungswort: FRIEDENSSCHLUSS Der Gewinner aus Heft 04/17 ist: Sigrid Buck aus Kosel I

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Wien, 1770: Ein mechanischer Apparat schlägt alle Schachspieler. Wie ist das möglich?

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Rampenrätsel Wie die Steine bewegt wurden P.M. HISTORY 03/2017

Für das Hochheben/Ziehen der Steinblöcke könnte ich mir auch vorstellen, dass bei der Rampe Mo wendet wurde. Mittels Gegengewicht auf der Rückseite, mit einem Seilzug

re Methode wäre der Einsatz eines „Gigagampfa“(Hebel). Friedrich Schneider, Ludesch in Österreich

Ich übernehme ungern die Rolle ner Schotte kann ich die Angaben zur Nationalität meines Landman nes Andrew Carnegie nicht unwi dersprochen stehen lassen. Andrew Carnegie wurde als Sohn schotti scher Eltern am 25. November 1835 in Dunfermline, Schottland, gebo ren und war nicht der Sohn „armer irischer Einwanderer“, wie in Ihrem Bericht geschrieben. Alexander Forsyth

D E R K O N F E R E N Z

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GETRICKST

Hamburg, 1935: Vier Brüder segeln fort aus Hitlers Diktatur. Und zwar nach Galapagos!

Carnegies Herkunft P.M. HISTORY 04/2017

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König Gilgamesch, Uruk am Euphrat

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Post: P.M. HISTORY Am Baumwall 11, 20459 Hamburg E-Mail: [email protected]

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sant und gut strukturiert. Ein kleiner Fehler ist Ihnen allerdings in der Kar tendarstellung auf Seite 52/53 unter laufen. Hier wird die Bretagne, die zu dieser Zeit eigenständig war, der Nor mandie zugeschlagen. Walter Knackstedt, Bochum

T E L E M A U S

E R G R O S

Antwort der Redaktion: Da haben Sie völlig recht. Wir pla nen in den nächsten Monaten einen Schottland-Schwerpunkt. Hoffentlich entschädigt Sie das ein wenig für un sere Verwechslung.

Antwort der Redaktion: Die Bretagne war tatsächlich ei genständig, aber zeitweilig eng mit der Normandie unter Wilhelm verbün det. Alain III., Herzog der Breta gne, übernahm zeitweise die Regentschaft für Wilhelm und half diesem, dessen Reich zu verteidigen. 1066 kämpften Bretonen in Wilhelms Heer. Dennoch hätten wir den Schriftzug Normandie besser höher platziert. Dass wir die Bretagne eingefärbt haben, ist aller dings korrekt: Der Farbton zeigt Sied lungsgebiete der Nordmänner.

Berühmte Pädagogen Pestalozzi, Diesterweg und Co.

Ich bin seit zehn Jahren Abonnent Ih rer Zeitschrift, jede Neuausgabe er warte ich voller Interesse, es ist ein besonderer Tag für mich im Senioren heim. Ich wünschte mir jedoch, dass zur Geschichte der Pädagogik auch Beiträge erscheinen würden. Bisher erinnere ich mich nur an einen Artikel über Amos Comenius. Ebenso wären es die Pädagogen Pestalozzi, Diester

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ken für die Entwicklung der deutschen Erziehung und Bildung zu berichten. Günter Henne, Harztor Antwort der Redaktion: Vielen Dank für die Anregung. Ge plant haben wir Artikel über Hoch schullehrer wie die Grimms – und Wilhelm von Humboldt, der auch ein bedeutender Bildungsreformer war.

Die Normannen Unabhängige Bretagne P.M. HISTORY 01/2017

Ihr Magazin „Der Siegeszug der Normannen“ war lehrreich, interes -

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Vorschau

TITELTHEMA

Deutsche Sagen „Und wenn sie nicht gestorben sind, dann …“, so enden viele Märchen der Brüder Grimm (links unten). Jacob und Wilhelm Grimm sammelten Sagen und Legenden, trugen sie in Büchern zusammen – schrieben sie um und erfanden eigene Geschich ten. Sagen waren auch bereits Stoff für die Minnesänger im Mittelalter. Ihr bekanntester Vertreter, Walther von der Vogelweide (links oben), sang nicht nur über die unsterbliche Liebe, sondern auch über Ereignisse wie den Kreuzzug. Politisch wurden die Sagen immer wieder missbraucht: Siegfried, der deutsche Recke, der gegen Drachen ficht , war etwa bei den Nationalsozialisten beliebt.

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Postanschrift für Verlag und Redaktion Am Baumwall 11, 20459 Hamburg Telefon: 040/3703-0, Fax: 040/3703-6000 Chefredakteur: Florian Gless (V.i.S.d.P.) Stellvertretender Chefredakteur P.M. und Redaktionsleiter P.M. HISTORY: Jens Schröder Creative Director: Andreas Pufal Geschäftsführender Redakteur/CvD: Bernd Moeller Layout: Jan Krummrey Redaktion: Hauke Friederichs (leitend), Martin Scheufens, Angelika Franz, Alexandra Poli (stud. Aushilfe) Bildredaktion: Julia Franz Assistenz: Gunhild Lübeck Publisher: Dr. Gerd Brüne Publishing Manager: Eva Zaher Vertrieb: DPV Deutscher Pressevertrieb Director Distribution & Sales: Torsten Koopmann Executive Director Direct Sales: Heiko Hager Director Brand Solutions: Daniela Krebs Verantwortlich für den Anzeigenteil: Daniela Krebs, G+J Media Sales, Am Baumwall 11, 20459 Hamburg Sales Manager: Max Schulz Presse- und Öffentlichkeitsarbeit: Christine Haller Marketing Director: Sandra Meyer

Unter Dampf Etliche Züge hat der US-Fotograf O. Winston Link seit den 1950erJahren abge lichtet: auf Brücken, neben Autokinos, auf riesigen Bahnhöfen. Bloß geknipst hat er dabei nie – Link hat mit eleganten Kompositionen den dampfenden Zügen ein Denkmal gesetzt.

Es gilt die gültige Preisliste. Informationen hierzu unter www.gujmedia.de Bankverbindung: Deutsche Bank AG, Hamburg, IBAN: DE30 2007 0000 0032 2800 00, BIC: DEUTDEHH Für unverlangte Manuskripte, Fotos und Zeichnungen wird keine Haftung übernommen. Bei Leserbriefen behält sich die Redak tion das Recht auf Kürzungen vor. Die Redaktion ist nicht für den Inhalt im Heft veröffentlichter Internet-Adressen verantwortlich.

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Tödliches Beben 1755 erschüttert eine Erdbeben Lissabon. Es löst einen Tsunami und einen Großbrand aus. Bis zu 100 000 Menschen sollen dabei gestorben sein. Sogar der König flieht aus der Stadt. Und er befiehlt Reformen. In ganz Europa sorgt die Katastrophe für Entsetzen: Literaten und Denker schreiben darüber.

DAS NÄCHSTE HEFT ERSCHEINT AM

P.M. HISTORY (USPS no 0017423) is published monthly by GRUNER + JAHR GMBH & CO KG. Subscription price for USA is Englewood NJ 07631. Periodicals Postage is paid at Englewood NJ 07631 and additional mailing offices. Postmaster: Send address changes to: P.M. HISTORY, GLP,

Anmerkung zu den Bild nach weisen: Wir haben uns bemüht, sämtliche Inhaber der Bildrechte zu ermitteln. Sollte dem Verlag gegen über dennoch nach gewiesen werden, dass eine Rechtsinhaberschaft besteht, entrichten wir das branchenübliche Honorar nachträglich. ISSN 2510-0661

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Sprengsatz

Fehler anderen

„Jeder erscheint unglaublich dumm, wenn er von

begangen wird.“

„Wenn man Fehler gemacht hat, bezeichnet man das selbst gerne als ‚Erfahrung sammeln‘.“ Oscar Wilde (1854–1900), irischer Schriftsteller

„Am auffälligsten unterscheiden sich die Leute darin, dass die Törichten immer wieder dieselben Fehler machen, die Gescheiten immer wieder neue.“ Karl Heinrich Waggerl (1897–1973), österreichischer Schriftsteller

„EINEN FEHLER, DEN MAN SCHON LANGE MACHT, BEHERRSCHT MAN PERFEKT.“ Michael Richter (*1953), deutscher Zeithistoriker

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r führte den Blitzableiter in Deutschland ein, forschte über Meteoriten und schrieb ein lange Zeit gültiges Standardwerk über Phy sik. Seine Studenten liebten ihn für seine spektakuläre Vorlesungsreihe zur Experimentalphysik an der Universität Göttingen. Die Veranstaltung war weit über die Grenzen seiner Heimatstadt hinaus bekannt: Mal fing er mit Dra chen bei Gewitter die Elektrizität ein, mal ließ er gasgefüllte Schweinsblasen aufsteigen und nahm damit die Ballon fahrt vorweg. Doch unvergessen wurde Georg Christoph Lichtenberg weniger wegen seiner Forschung als vielmehr wegen der Sprache, in der er sie beschrieb: Er gilt als Meister des Aphorismus. Mit seinen prägnant formulierten Einfäl len, Einsichten und Reflexionen füllte er etliche Notizhefte, von ihm selbst „Sudelbücher“ genannt. Dabei ging es ihm nicht nur um wissenschaftliche

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„DEN GRÖSSTEN FEHLER, DEN MAN IM LEBEN MACHEN KANN, IST, IMMER ANGST ZU HABEN, EINEN FEHLER ZU MACHEN.“ Dietrich Bonhoeffer (1906–1945), deutscher Theologe

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tern und die Lehren, die sich daraus ziehen lassen. Insgesamt 15 000 Seiten umfasst die posthum veröffentlichte Sammlung, allein 350 der Einträge sind Aphorismen. Lichtenbergs scharf for mulierte und oft ironische Lebensweis heiten werden bis heute immer wieder gern zitiert.

„Menschen, an denen nichts auszusetzen ist, haben nur einen, allerdings entscheidenden Fehler: Sie sind uninteressant.“ Zsa Zsa Gabor (1917–2016), ungarische Schauspielerin

„Die schlimmsten Feh ler werden gemacht in der Absicht, einen begangenen Fehler wiedergutzumachen.“ Jean Paul (1763–1825), deutscher Schriftsteller

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Georg Christoph Lichtenberg (1742–1799)

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